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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Autoren: Jan Beinßen
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durchziehen!«
    Sie ließ den Schraubverschluss fallen, drehte die kleine Flasche um und goss den Nagellackentferner mit ruckartigen Bewegungen über Paul aus. Er benetzte seine Hose, seinen Oberkörper, am Schluss auch noch seine Haare. Paul schloss die Augen, atmete nur noch flach.
    »Eine Leiche in der Küche«, rief Frau Henlein plötzlich schrill, »weiß Gott, die habe ich wirklich nicht gewollt. Das gehört nicht mehr zu meinem Plan, aber man wird Sie dieser Einbrecherbande zuschreiben. Genau wie alles andere.«
    Das Fläschchen war leer. Es zersplitterte, als es Frau Henlein gegen die Heizung warf. Bei dem Knall zuckte Paul zusammen.
    »Die Polizei wird wissen wollen, warum die Diebe Sie gefesselt hier zurückgelassen haben, nicht wahr?« Für einen kurzen Moment verharrte Frau Henlein in ihrer Bewegung. Für Sekunden war ihre Unruhe verflogen. Angestrengt dachte sie nach. Ein Hoffnungsschimmer? Doch dann nahm sie ihren zerstörerischen Aktionismus wieder auf und öffnete, offenbar auf der Suche nach weiteren brennbaren Flüssigkeiten, die Küchenschränke. Dabei hatte sie schon jetzt ganze Arbeit geleistet, dachte Paul resigniert. Die Wohnung würde brennen wie Zunder.
    »Sie haben Sie überwältigt und gefesselt, weil sie von Ihnen auf frischer Tat ertappt worden sind!«, ereiferte sich Frau Henlein und schlug eine Schranktür nach der anderen wieder zu. »Ja, so hat es sich abgespielt: Sie wollten mich besuchen, aber ich war nicht da. Dann haben Sie Geräusche gehört und sind deshalb hier hereingekommen. Sie wurden von den Dieben niedergeschlagen, die Sie in der Küche fesselten. An die Heizung. Dann zündeten sie die Wohnung an. Wie sie das immer tun. Nichts Ungewöhnliches also.«
    Sie schien die Suche nach Brandbeschleunigern aufgegeben zu haben und trippelte noch einmal zu Paul zurück. Als sie ihn kurz ansah, hielt er ihrem Blick stand und versuchte, wortlos seine Gefühle auszudrücken. Seine Angst. Seine Hoffnung. Er appellierte an sie!
    Die Knopfaugen schienen plötzlich tatsächlich einen milden Ausdruck anzunehmen. Frau Henlein hielt den Blick aufrecht, als sich ihre Lippen bewegten. Wollte sie ihm etwas sagen? Hatte sie es sich doch noch anders überlegt?
    Dann drehte sie sich abrupt um. Ging aus der Küche, machte die Tür hinter sich zu. Die Schritte wurden leiser.
    Paul hörte noch, wie die Wohnungstür vorsichtig ins Schloss gezogen wurde, danach wurde es still. Grabesstill.
    38
    Paul wurde von einem eigentümlichen Gefühl erfüllt: einer Mischung aus banger Erwartung und Furcht, einer starken Furcht, die ihm die Kehle zuschnürte. Er wusste jetzt, was aus ihm werden würde. Wie er sterben würde. Wenn er mit nach Berlin gegangen wäre, wäre das alles nicht passiert, dachte er beinah melancholisch.
    Aber er hatte die Hoffnung noch nicht vollends aufgegeben. Paul lauschte in die Stille hinein. Vielleicht würden die Schritte zurückkommen? Vielleicht musste er nur lange genug warten.
    Da, tatsächlich ein Geräusch. Bildete er es sich nur ein? War da nicht ein leises Knistern?
    Nein, keine Einbildung! Unter der Küchentür kroch ein feiner grauweißer Nebel hervor. Er stieg kerzengerade an der Türinnenseite empor, bis er die Decke erreichte, wo er sich staute, um sich im nächsten Moment dicht unter der Decke als dünner Film auszubreiten. Schleichend kroch er auf die Deckenmitte zu und formte Wellen, die größer wurden, als neuer Qualm hinzukam.
    Paul zog seine Beine an sich heran. Er starrte an die Decke und beobachtete mit qualvoller Faszination das unheimliche Schauspiel.
    Das Knistern war jetzt immer deutlicher zu hören und ging in ein geräuschvolles Knacken über. Der Nebel kroch jetzt auch durch das Schlüsselloch. Je mehr grauweiße Schwaden in den Raum zogen, umso tiefer senkte sich die Nebeldecke. Züngelte mit ihren Ausläufern nach ihm.
    Es war grotesk, dachte Paul: Die Küche lief voll wie ein Wasserbecken – nur dass die Gefahr eben nicht von unten, sondern von oben kam!
    Er drückte sich enger an die Heizung. Ein Geruch nach verbranntem Holz und verschmortem Plastik verdrängte den Gestank von Spiritus und Nagellackentferner. Was konnte er tun? Konnte er überhaupt etwas tun? Beten – als bekennender Atheist? Hoffen – als jemand, der nicht an Wunder glaubte? Nie geglaubt hatte?
    Die Nebelbank war bis auf halbe Raumhöhe herabgezogen. Aus Pauls Position am Küchenboden sah die wabernde Masse aus wie ein Wolkenmeer. Das Weiß wurde immer häufiger von tiefschwarzen
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