Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen

Titel: Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Autoren: James Patterson
Vom Netzwerk:
Er hatte vor, zu verschwinden und ein Teil des Schauplatzes zu werden, ein Heckenschütze an einem öffentlichen Ort. In der Union Station!
    Ein altmodisch klingender Ansager gab das Gleis und die Abfahrtszeit des nächsten Metroliners nach Baltimore, Wilmington, Philadelphia und zur Penn Station in New York bekannt.
    Soneji lächelte vor sich hin – das war sein Fluchtzug. Er hatte eine Fahrkarte und plante nach wie vor, den Zug zu nehmen. Er würde im Metroliner sitzen oder draufgehen. Niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten, vielleicht mit Ausnahme von Alex Cross, und selbst das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sein Plan enthielt Ausweichmöglichkeiten für jeden Fall, sogar für den seines Todes.
    Dann verlor sich Soneji in Gedanken. Seine Erinnerungen waren sein Kokon.
    Er war neun Jahre alt, als ein Student namens Charles Whitman aus einem Turm der University of Texas in Austin das Feuer eröffnet hatte. Whitman war ein ehemaliger Marineinfanterist, fünfundzwanzig Jahre alt. Das unerhörte, sensationelle Ereignis hatte Gary damals förmlich hypnotisiert.
    Er hatte jeden Bericht über die Erschießungen gesammelt, lange Artikel aus Time , Life , Newsweek , der New York Times , dem Philadelphia Inquirer, der Londoner Times, Paris Match, der Los Angeles Times , der Baltimore Sun . Er besaß die kostbaren Ausschnitte noch heute. Sie waren im Haus eines Freundes, wurden dort für die Nachwelt aufbewahrt. Sie waren Beweise für vergangene, gegenwärtige und künftige Verbrechen.
    Gary Soneji war ein guter Schütze. Dabei hätte er bei dieser wimmelnden Menge aus Zielpersonen gar kein As zu sein brauchen. Kein Schuß in dieser Bahnhofshalle mußte weiter reichen als einhundert Meter, und er war bis zu fünfhundert Metern treffsicher.
    Er hatte das Gefühl, aus seinem Alptraum in die reale Welt hinauszutreten, als sich der große Augenblick näherte. Ein kalter, heftiger Schauer durchlief seinen Körper. Er war köstlich, verlockend. Er spähte durch das Zielfernrohr des BrowningGewehrs auf die geschäftige, nervöse, sich bewegende Menge.
    Er suchte nach dem ersten Opfer. Das Leben war soviel schöner und interessanter durch ein Zielfernrohr.
6.
    Da waren sie.
    Er musterte die Halle mit Tausenden eiliger Pendler und Sommerurlauber. Keiner von ihnen hatte eine Ahnung von der drohenden Lebensgefahr in ebendiesem Augenblick. Die Leute schienen nie zu glauben, daß ihnen tatsächlich etwas Grauenhaftes zustoßen könne.
    Soneji beobachtete eine lebhafte Schülergruppe in leuchtendblauen Blazern und gestärkten weißen Hemden. Schickimickis, gottverfluchte Schickimickis. Sie kicherten und rannten mit übertriebener Fröhlichkeit zu ihrem Zug. Er konnte glückliche Menschen nicht leiden, schon gar nicht saublöde Bälger, die glaubten, sie hätten die Welt völlig im Griff.
    Er stellte fest, daß er von hier oben Gerüche unterscheiden konnte: Dieselkraftstoff, Flieder und Rosen von den Blumenverkäufern, Fleisch und Knoblauchgarnelen aus den Restaurants in der Halle. Von den Gerüchen bekam er Hunger.
    Das Sichtfeld seines spezialangefertigten Zielfernrohrs verfügte über einen schwarzen Markierungspunkt anstelle des üblichen Fadenkreuzes. Soneji bevorzugte die Punktmarkierung. Er beobachtete die Collage aus Formen, Bewegung und Farben, die in Richtung Tod trieb und wieder entglitt. Dieser kleine todesschwangere Ausschnitt war jetzt Garys Welt, autark und hypnotisierend.
    Soneji richtete die Zielmarkierung auf die breite, faltige Stirn einer müde aussehenden Geschäftsfrau Anfang Fünfzig. Die Frau war mager und nervös, hatte verhärmte Augen und bleiche Lippen.
    »Sag gute Nacht, Grazie«, flüsterte er leise. »Gute Nacht, Irene. Gute Nacht, Mrs. Calabash.«
    Er hätte fast den Abzug durchgedrückt, beinahe mit dem morgendlichen Massaker angefangen, doch dann hielt er im letztmöglichen Augenblick inne.
    Die hatte den ersten Schuß nicht verdient. Er war mit sich selbst unzufrieden wegen seiner Ungeduld. Nicht annähernd spektakulär genug. Nur eine vorübergehende Anwandlung. Bloß wieder irgendeine Mittelschichtkuh.
    Die Zielmarkierung verharrte wie magnetisch angezogen auf dem Rückgrat eines Gepäckträgers, der eine instabile Ladung aus Schachteln und Koffern schob. Der Gepäckträger war ein großer, gutaussehender Schwarzer – Alex Cross sehr ähnlich. Seine dunkle Haut schimmerte wie Mahagoni.
    Darin lag die Anziehungskraft dieser Zielperson. Ihm gefiel das Bild, aber wer außer ihm hätte die subtile,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher