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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten
Autoren: Marina Heib
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Aber keiner hat sie
gefragt, ob sie das auch wollen. Bestenfalls hat man ihnen gesagt, dass sie wollen.
    Also bleiben sie lieber draußen, auch bei der Eiseskälte. Ein
bisschen aus Eigensinn. Ein bisschen aus Freude an den Schneeflocken. Sie
wissen, dass die Pause vorbei ist. Sie wissen auch, wie streng das Reglement
der Schule ist. Deswegen bleiben sie draußen. Auch wenn sie sich halb zu Tode
frieren. Sie wollen sich ein wenig auflehnen, indem sie selbstständige
Entscheidungen treffen.
    Die Kinder spielen »Himmel und Hölle«, der Kälte und der Pausenklingel
zum Trotz. Es ist ein seltsames Fingerspiel, das weder Raffinesse besitzt noch
Abwechslung bietet. Ein blau und rot bemaltes Papier wird zu einem
symmetrischen Körper gefaltet, den man über zwei Achsen öffnen und schließen
kann. Der eine Spieler hält das Spiel geschlossen und dreht es mehrfach. Der
andere gibt an, in welche Richtung es geöffnet werden soll. Sieht er die Farbe
Rot, kommt er in die Hölle. Bei Blau in den Himmel.
    Die Kinder wollen wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Rot oder blau.
Wahrscheinlichkeitsrechnung spielt hierbei keine Rolle. Das Schicksal
unterwirft sich keinen Gesetzen, es folgt seinen eigenen.
    Der Junge strahlt. Denn wie oft auch das Mädchen ihr »Himmel und
Hölle«-Faltspiel für ihn öffnet – er landet im Himmel. Und wie oft auch immer
sie beide, in verzweifelter Abwechslung, das Faltspiel für das Mädchen öffnen –
sie landet in der Hölle.
    Hölle.
    Hölle.
    Hölle.
    Hölle.
    Hölle.
    Wütend nimmt das Mädchen das dumme Faltspiel, zerknüllt es, wirft es
auf einen der Schneehaufen, die seit Tagen den Hof säumen und die Stadt und das
Land, und fordert den Jungen auf, endlich mit ins halbwegs Warme zu kommen.
Schließlich ist die Pause längst vorbei, das Reglement streng, und die
Schneeflocken sind nun auch nicht mehr so weiß und sanft wie eben noch.

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