Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
verziertem
Ebenholz. An der Schnecke und den langen f-Löchern erkannte sie den
Geigenbauer. »Das ist eine Guarneri«, flüsterte sie andächtig. Wie lange hatte
sie schon nicht mehr gespielt? Sie konnte sich nicht erinnern. Es war in einem
anderen Leben gewesen. Sie nahm die Geige aus dem Koffer. Sie würde spielen.
Nicht für Jensen, bestimmt nicht. Sie wollte für sich spielen, ganz allein für
sich selbst.
    Sofia stellte sich hin, schloss die Augen und stimmte die Geige mit
geübten Griffen. Beim ersten Strich lief ihr ein Schauer über den Rücken. Der
Klang war warm und satt und volltönend. Sie spielte die Chaconne von Bach.
    Draußen kauerte Danylo zwischen den Blumenkübeln. Die
Tränen liefen ihm in Strömen über die Wangen. Noch nie hatte Sofia so gespielt.
Das schwierige Werk erklang voll gewaltiger Empfindungen, wie nicht von dieser
Welt. Danylo wusste, dass dieser einzelne Satz eine gute Viertelstunde dauerte.
So lange hatte er Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Danach würden sie Sofia
töten.
    Christian zwängte sich unfroh in Annas Cabriolet und
machte sich auf in den Norden der Stadt. Viel lieber wäre er zu Hause geblieben,
hätte mit Anna zu Abend gegessen und den neuen Film der Coen-Brüder angesehen,
den Anna auf DVD besorgt hatte. Die Kieler Straße war wie immer verstopft.
Christian zappte durch die Radioprogramme, bis er genervt von den lärmenden
Werbespots auf CD umschaltete. Im Takt zu Led Zeppelins Stairway
to Heaven trommelte er auf das Lenkrad und sang mit.
    Danylo zog seine Waffe aus der Innentasche seiner
Sommerjacke. Sofia näherte sich der Schlusskadenz. Er sah ihr durch das Terrassenfenster
zu, wie sie nach dem letzten Ton die Geige absetzte. Sie war schweißgebadet,
kalkweiß im Gesicht. Mit geschlossenen Augen verbeugte sie sich, so tief sie
konnte. Danylo wusste, dass sie nicht vor ihrem Drei-Personen-Publikum
buckelte, sondern Johann Sebastian Bach ihre demütige Verehrung erwies. Vor
Jahren hatte er sie einmal spöttelnd nach ihren besonders intensiven
Verbeugungen gefragt. Er wusste noch genau, wie beeindruckt er damals von ihrer
inneren Haltung war, und hatte seitdem jedes Mal lächeln müssen, wenn sie ein
Konzert zusammen spielten und Sofia tief gebeugt die Ovationen entgegennahm.
    Jetzt, drinnen im Wohnzimmer, schien sie sich gar nicht mehr erheben
zu wollen. Sie stand da mit gebücktem Rücken, die Geige quer vor die Brust
gepresst wie ein Schild, die Haare fielen über ihr Gesicht, sie bewegte sich
keinen Millimeter, als wäre sie in Trance. Der Typ von der Statur eines Kleiderschranks
erhob sich, nahm ihr die Geige aus der Hand und richtete sie auf. Sofia ließ
alles mit sich geschehen. Dann drückte er Sofia zurück in den Sessel.
    Jensen nickte der Frau zu. Mit einem Ruck riss sie Sofias T-Shirt
entzwei. Vor Schreck entfuhr ihr ein Stöhnen. Sofias bis auf den BH entblößter
Oberkörper war voller frischer Schnitte, alter Krusten und blutiger Schrunden.
    »Was zur Hölle…?« Auch Jensen starrte entsetzt auf die zerstörte
Haut. Dann fasste er sich, öffnete die Frischhaltebox, die vor ihm auf dem
Tisch stand und schüttete den Inhalt über Sofias Kopf aus. Maden, Würmer, Käfer
und Heuschrecken verfingen sich in Sofias Haaren, rutschten an ihrer nackten
Haut herunter, zum Teil in den BH-Ausschnitt.
    Sofia stieß einen markerschütternden Schrei aus und wollte panisch
aufspringen. Doch der Mann, der hinter ihr stand, hielt sie fest.
    Die Frau nahm eine Nagelschere aus einem Köfferchen und ging damit
auf Sofia zu. Jensen hielt sie auf: »Lass es. Was sollen wir der noch die Haut
aufschlitzen? Schau doch, wie sie aussieht, Nina.«
    »Sie hat es bei Andres auch getan!«
    »Dein Ex-Lover ist mir scheißegal! Gib mir das Gift!«
    Nina reichte Jensen das Fläschchen. Er öffnete es. »Mach den Mund
auf, Sofia. Mach schön brav den Mund auf.«
    Endlich kam Bewegung in Danylo. Der Anblick von Sofias zerschlitztem
Oberkörper war so grauenvoll, dass Danylo für kurze Zeit starr vor Schock
gewesen war. Er hatte immer noch keinen Plan, also handelte er spontan. Er
sprang hinter den Blumenkübeln hervor und schoss durch die Terrassentür.
Instinktiv richtete er seine Waffe hoch aus. Sofia war im Moment die Einzige,
die saß. Er wollte alle und alles, nur nicht sie treffen.
    Zu seiner eigenen Überraschung fiel der Mann hinter Sofia um wie ein
nasser Sack. Die Frau mit den Zöpfen wurde gegen die Schrankwand geschleudert.
Aus ihrer rechten Schulter sickerte Blut. Nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher