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Paradies Pollensa

Paradies Pollensa

Titel: Paradies Pollensa
Autoren: Agatha Christie
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ängstlich hatte er sie gebeten, mit ihm fortzugehen – wer war er denn schon? Ein Niemand – einer von Tausenden Orangenplantagenbesitzern im Transvaal. Was für ein Leben für sie – nach dem Glanz Londons! Und doch, weil er sie so verzweifelt begehrte, hatte er sie fragen müssen.
    Sehr ruhig hatte sie eingewilligt, ohne Zögern und ohne Einwände, als wäre es die einfachste Sache der Welt, um die er sie bat.
    »Morgen?«, hatte er sie staunend, fast ungläubig gefragt.
    Und mit dieser sanften, brüchigen Stimme, die so anders war als das lachende Funkeln ihres gesellschaftlichen Auftretens, hatte sie ihm ihr Versprechen gegeben. Bei ihrem allerersten Anblick hatte er sie mit einem Diamanten verglichen: feurig blitzend und aus Hunderten von Facetten das Licht reflektierend. Bei jener ersten Berührung jedoch, jenem ersten Kuss, war auf wundersame Weise jene verhüllte Sanftmut einer Perle zutage getreten – einer Perle vom zartem Rosa der Magnolienblüte.
    Sie hatte ihr Versprechen gegeben. Und jetzt wartete er darauf, dass sie dieses Versprechen einlöste.
    Einmal mehr schaute er auf die Uhr. Wenn sie nicht bald da war, würden sie den Zug verpassen.
    Eine heftige Welle der Erregung durchlief ihn. Sie kam nicht! Natürlich kam sie nicht. Wie dumm war er gewesen, das von ihr zu erwarten! Was bedeutete schon ein Versprechen? In seinem Zimmer würde er einen Brief vorfinden: Erklärungen, Einwände, all das, was Frauen vorbringen, wenn sie ihren Mangel an Mut zu rechtfertigen versuchen.
    Wut kam in ihm auf – Wut und die Bitterkeit der Enttäuschung.
    Dann sah er sie über den Bahnsteig auf sich zukommen, ein leises Lächeln auf den Lippen. Sie ging langsam, ohne Hast oder Unruhe, wie jemand, der die ganze Ewigkeit vor sich hat. Sie trug Schwarz – ein sanftes Schwarz, das sich an sie schmiegte, und einen kleinen schwarzen Hut, der die wunderbar cremige Blässe ihres Gesichts umrahmte.
    Unwillkürlich ergriff er ihre Hand und murmelte wie ein Dummkopf: »Du bist also gekommen, du bist gekommen. Endlich!«
    »Natürlich.«
    Wie ruhig ihre Stimme klang! Wie ruhig!
    »Ich dachte, du würdest nicht kommen«, sagte er und ließ heftig atmend ihre Hand los.
    Ihre Augen wurden größer – große, wunderschöne Augen. Verwunderung lag darin, die arglose Verwunderung eines Kindes.
    »Warum?«
    Er antwortete nicht. Stattdessen schaute er sich um und rief einen Träger herbei. Sie hatten nicht mehr viel Zeit. In den folgenden Minuten herrschten Durcheinander und Konfusion. Dann saßen sie in ihrem reservierten Abteil, und die tristen Häuser Londons flogen an ihnen vorbei.
     
     

II
     
    Theodora Darrell saß ihm gegenüber. Endlich war sie sein. Erst jetzt begriff er, wie sehr er, bis zum letzten Moment, gezweifelt hatte. Er hatte nicht zu vertrauen gewagt. Ihre geheimnisvolle, ausweichende Art hatte ihm Angst gemacht. Es war ihm unmöglich erschienen, dass sie je zu ihm gehören sollte.
    Jetzt war die Anspannung vorüber. Der unumkehrbare Schritt war getan. Er sah sie an. Reglos saß sie in die Ecke gelehnt da. Das sanfte Lächeln lag noch auf ihren Lippen, die Augen hatte sie gesenkt, ihre langen schwarzen Wimpern berührten die cremefarbene Rundung ihrer Wangen.
    Er dachte: »Was beschäftigt sie? Woran denkt sie? An mich? An ihren Ehemann? Was denkt sie überhaupt über ihn? War sie ihm je zugetan? Oder hat sie sich nichts aus ihm gemacht? Hasst sie ihn, oder ist er ihr egal?« Und wie ein stechender Schmerz durchzuckte ihn der Gedanke: »Ich weiß es nicht. Ich werde es niemals wissen. Ich liebe sie, und ich weiß nichts über sie – was sie denkt oder fühlt.«
    Seine Gedanken kreisten um Theodora Darrells Ehemann. Er hatte viele verheiratete Frauen gekannt, die nur allzu gern bereit waren, über ihre Männer zu sprechen – wie sehr er sie missverstand, wie er ihr edles Wesen missachtete. Vincent Easton dachte zynisch, dass dies zu den berühmtesten Eröffnungsschachzügen überhaupt gehörte.
    Theo dagegen hatte, wenn überhaupt, nur beiläufig von Richard Darrell erzählt. Easton wusste von ihm nur das, was alle wussten. Er war beliebt, gut aussehend, von verbindlicher, unbekümmerter Wesensart. Alle Welt mochte Darrell. Sein Verhältnis zu seiner Frau, so schien es, war stets exzellent. Aber das bewies gar nichts, dachte Vincent. Theo kam aus gutem Hause – sie würde ihre Klagen niemals in die Öffentlichkeit tragen.
    Und zwischen ihnen beiden war kein Wort gefallen. Von jenem zweiten Abend ihrer
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