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Papillon

Papillon

Titel: Papillon
Autoren: Henri Charrière
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Plötzlichkeit – sind durch die Bank
Geschehnisse,
können gar nichts anderes sein. Hier zielt alles und jedes auf eine Tat ab, auf ein Getanes. Denken oder eine Handlung ausführen hat beides die gleiche Schwere, die das ganze Individuum durchdringt. Entweder steht ihm plötzlich irgendein menschliches Wesen vor dem Geist, oder etwas, das er einmal zu einem Gefährten gesagt hat, oder etwas, das er gerade tut, und in jedem Augenblick ist für ihn nur dieses vorhanden, allein und unvermischt. Deshalb gibt es ja in der Papillon-Welt auch keine Unterschiede in der Intensität der Darstellung. Jemanden anreden, ihn töten, ihn retten, das folgt alles so dicht aufeinander wie die Bilder im Kino und wie bei Gregor, so nimmt auch auf dem Bildschirm ein jedes von ihnen stets den einen, ganz gleich großen Raum ein, ob uns nun eine Wiese voll windbewegter Blumen oder ein Erdbeben vor Augen geführt wird. Wo jeder in jedem Moment um sein Leben kämpft, dort kann man nur mitspielen, indem man alles auf eine Karte setzt, und dieses Alles-auf-eine-Karte-Setzen färbt und prägt ohne Unterlaß sämtliche äußere Erscheinungen. Ununterbrochen und zu gleicher Zeit sind diese Männer ganz Berechnung und ganz Affekt, ganz Schlauheit und zugleich Gewalt, ganz Vergessen und ganz Nichtvergessen. Bei Gregor hat der eine vergessen, daß der andere seine Eltern umgebracht hat. Doch sobald ihm dieses Detail wieder ins Gedächtnis gerufen wird, geht er hin und tötet den Tischgenossen. Man beachte dabei die Schnelligkeit und Geistesgegenwart, mit der er die Lichter ausmacht, genauso schnell und geistesgegenwärtig, wie Papillon dem sadistischen Aufseher den Topf voll siedendem Wasser überstülpt. Ein solcher Extremismus in den Reaktionen erzeugt ein Tempo, das jede Szene vom Tal bis zum Gipfel durchspielt, sie fast auf jeder Buchseite hochjagt, bald durch die Tat oder Untat irgendeiner handelnden Person, bald durch einen Schlag des Schicksals. Denn in diesem ewigen Alles-auf-eine-Karte-Setzen gibt es kein Mittelmaß. Die Ehe zwischen Planung und Zufall ist hier ebenso innig wie die Verbindung zwischen wildem Lebenswillen und einer bestürzenden Leichtfertigkeit in der Kunst, Gefahren zu provozieren oder Rache herauszufordern.
    Bei dieser Art des Erzählens braucht sich der Autor nicht zu fragen,
warum
er schreibt. Die Frage wäre sinnlos, weil die Antwort für ihn zu sehr auf der Hand liegt. Die Heftigkeit, mit der er erlebt hat, was er erzählt, läßt in seinem Geist nicht den leisesten Zweifel darüber aufkommen, daß jeder an dem, was er berichtet, brennendes Interesse nimmt (eine Überzeugung, ohne die niemand ein wahrer Erzähler sein kann), und anderseits kann er gar nichts anderes denken, als daß er, wenn er sich ganz seinem Erzählen hingibt, allen Leuten Freude macht, sich selbst eingeschlossen. In dieser überquellenden Gabe des Erzählens besteht ja der Gnadenzustand, das Urtalent, das, von allen andern sehr wohl bemerkt, seiner selbst gar nicht inne wird.
    Dieser Zustand der Gnade kann heutzutage nur noch in Werken erscheinen, die nicht aus anderen Werken hervorgehen, ich will sagen: im außerliterarischen Bereich. (Und tatsächlich kann man ja auch nicht von einem
literarischen
Einfluß der Sarrazin auf Charrière reden, ihr Einfluß beschränkte sich darauf, daß er sich durch ihr Beispiel zum Schreiben entschloß.) Es gibt heutzutage keine n bewußt Schreibenden, der, determiniert durch die Kultur, in der er nun einmal drinsteckt, die ästhetischen Antinomien linearen Erzählens zu übertreffen vermöchte. Der moderne Roman ist nicht mehr Bericht und hat mit den herkömmlichen epischen Kategorien nichts mehr zu tun.
    Man stellt in unseren Tagen bis zum Überdruß Untersuchungen darüber an, was Literatur ist, was Sprache ist, was Schreiben, was Sprechen ist. Die Fragestellungen sind viel radikaler als in den Poetiken von gestern. Man gibt sich nicht mehr wie einst damit zufrieden, die Berechtigung, die Legitimität des einen oder des anderen Inhalts eines Literaturwerkes abzuschätzen, die Angemessenheit dieser oder jener Form.
    Schon seit langem billigt man sämtliche Inhalte. Und deshalb sind sie wohl auch alle verschwunden, aus Mangel an Verboten. Verboten ist gar nichts mehr – vom Gesichtspunkt der Ästhetik, höre ich sagen. Bleibt also nur noch die Form. Es konnte nicht anders kommen. Und hier ist nun wieder alles verboten, es gibt gar nichts mehr, was noch erlaubt wäre. Doch Literatur ist weder Malerei noch
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