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Papillon

Papillon

Titel: Papillon
Autoren: Henri Charrière
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Piccolino meine wahre Freiheit erhalten. Tiefe Wärme durchströmt mein Herz, endlich habe ich auf immer den »Weg der Verwesung«, den »Weg zur Hölle« hinter mich gebracht. Wir haben August 1944. Seit dreizehn Jahren habe ich auf diesen großen Tag gewartet.
    Ich habe mich in mein Gärtnerhaus zurückgezogen und mich bei meinen Kameraden entschuldigt, daß ich allein sein möchte. Meine Gefühle überwältigen mich so, daß ich mich ihnen nicht vor Zeugen hingeben will.
    Ich drehe und wende meinen Personalausweis, den mir der Direktor überreicht hat, hin und her: links in der Ecke ist meine Photographie, darüber die Nummer l 728 629, ausgestellt am 3. Juli 1944. Schön in der Mitte mein Name, darunter mein Vorname, dahinter das Geburtsdatum: 16. November 1906. Das Personaldokument ist in tadelloser Ordnung. Es ist sogar vom Leiter der obersten Polizeibehörde unterzeichnet und trägt seinen Stempel. Status in Venezuela: »residente«. Dieses Wort »residente« ist für mich umwerfend, denn es garantiert mir, daß ich jetzt meinen ständigen Wohnsitz in Venezuela haben darf.
    Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich möchte mich auf die Knie werfen, beten und Gott danken. Aber du hast nie beten gelernt, du bist nicht einmal getauft, an welchen Gott willst du dich wenden, wenn du keiner bestimmten Religion angehörst? An den Gott der Katholiken? Der Protestanten? Der Juden? Der Mohammedaner? Welchen soll ich wählen, um ihm mein Gebet zu widmen, das ich mir aus irgendwelchen einzelnen Stücken zusammendenken muß, weil ich kein einziges vollständiges Gebet kenne? Aber warum
suche
ich eigentlich einen Gott? Habe ich nicht immer, sobald ich ihn in meinem Leben einmal angerufen oder auch verflucht habe, an das Jesuskind gedacht, wie es in seiner Krippe liegt, und der Esel und der Ochse stehen dabei? Hege ich vielleicht in meinem Unterbewußtsein noch einen Groll gegen die Barmherzigen Schwestern in Kolumbien? Nein. Warum sollte ich mich dann nicht an den einzigartigen, heiligmäßigen Bischof von Curacao halten, an seine Exzellenz Irenee de Bruyne, und auch noch weiter zurückdenken, bis zu dem guten Priester in der Conciergerie?
    Morgen werde ich frei sein. Völlig frei. In fünf Jahren bin ich naturalisierter Venezolaner, denn ich werde sicher nichts Schlechtes auf diesem Boden begehen, der mir Asyl gewährt und mir Ver- trauen schenkt. Ich muß ein doppelt anständigeres Leben führen als jeder andere.
    Wenn mich der Staatsanwalt, ein paar Huren und ein Dutzend Würmer von Geschworenen zu Unrecht für einen Mord, an dem ich unschuldig bin, zu den Schweren geschickt haben, dann konnte das ja nur geschehen, weil ich so ein Strolch war, ein Vagabund. Weil ich ein ausgepichter Abenteurer gewesen bin, war es leicht, rund um meine Person ein Netz von Lügen zu spinnen. Die Geldschränke anderer Leute zu knacken ist kein angesehener Beruf, und die Gesellschaft hat das Recht und die Pflicht, sich gegen solche Leute zu wehren. Wenn ich auf den Weg des Verderbens, der Verwesung, der Hölle gebracht werden konnte, dann nur deshalb – ich gebe es ehrlich zu –, weil ich ein ständiger Kandidat für ihn war. Daß dieses Züchtigungssystem Frankreichs und seines großen Volkes nicht würdig ist, daß eine Gesellschaft sich zwar verteidigen, aber doch nicht auf so niedrige Art Rache nehmen muß, das steht auf einem anderen Blatt.
    Meine Vergangenheit kann nicht mit einem Schwamm weggewischt werden, ich muß mich selbst zu einem ehrbaren MenI sehen machen, zuerst in meinen eigenen Augen, dann in den Augen der anderen. Danke daher dem Herrgott der Katholiken, Papi, versprich ihm irgendeine sehr wichtige Sache.
    »Lieber Gott, verzeih mir, daß ich nicht beten kann, aber blick in mein Inneres, und Du wirst die Worte der unendlichen : Dankbarkeit lesen, die ich nicht auszudrücken vermag. Den Passionsweg zu gehen, den die Menschen mir auferlegt haben, war nicht
,
leicht. Und sicherlich habe ich alle Hindernisse nur deshalb überwinden können und bin nur deshalb heil und gesund bis zu diesem gesegneten Tag gelangt, weil Du es warst, der seine Hand über mich hielt, um mir zu helfen. Was kann ich tun zum Beweis dafür, daß ich Dir für Deine Wohltaten ehrlich dankbar bin?«
    »Verzichte auf deine Rache.«
    Habe ich diesen Satz wirklich gehört, oder nur geglaubt, ihn zu l hören? Ich weiß es nicht. Aber er schlug mir wie eine Ohrfeige ins Gesicht, so daß ich fast behaupten möchte, daß ich ihn wirklich gehört habe, laut
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