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Papillon

Papillon

Titel: Papillon
Autoren: Henri Charrière
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einen Menschen zu retten, auch wenn sie hinterher Unannehmlichkeiten haben können. Eine Sache ist das, sag ich euch!«
    Ich habe einen schönen, marineblauen Anzug, mein Mathematikschüler, der heute Oberst ist, hat ihn mir geschenkt. Francisco Bolagno Utrera ist seit drei Monaten auf der Offiziersschule, bei der Aufnahmeprüfung war er unter den drei Ersten. Ich bin glücklich, daß ich mit den Stunden, die ich ihm gegeben habe, etwas zu seinem Erfolg beitragen konnte. Bevor er wegfuhr, schenkte er mir einige von seinen fast neuen Sachen, und sie stehen mir recht gut. Dank ihm, Francisco Bolagno Utrera, Mitglied der Nationalgarde, verheiratet und Familienvater, werde ich das Lager anständig gekleidet verlassen können. Dieser hohe Offizier hat mir während sechsundzwanzig Jahren die Ehre seiner edlen Freundschaft erwiesen. Nie hat er mich im geringsten im Stich gelassen, wenn ich einmal seine Hilfe brauchte. Ich schulde ihm sehr viel.
    Jawohl, ich werde alles nur mögliche tun, um ehrlich zu sein und zu bleiben. Das einzig Unangenehme ist, daß ich niemals richtig arbeiten lernte und keinen ordentlichen Beruf habe. Ich werde welche Arbeit auch immer anpacken müssen, um mir meinen Lebensunter- halt zu verdienen. Das wird nicht leicht sein, aber es wird mir gelingen. Du hast die Partie verloren, Herr Staatsanwalt.
    Ich drehe und wende mich in meiner Hängematte vor Aufregung, daß es die letzte Nacht meiner Odyssee als Gefangener ist. Ich stehe auf und gehe im Garten herum, den ich in den vergangenen Monaten so gut gepflegt habe. Der Mond scheint taghell, leise fließt der Fluß seiner Mündung zu. Kein Vogelruf – sie schlafen. Der Himmel ist voller Sterne, aber der Mond ist so gleißend, daß man ihm den Rücken zuwenden muß, um sie zu sehen. Mir gegenüber die Wildnis, nur an der Stelle gelichtet, wo das Dorf El Dorado liegt.
    Diese tiefe Stille der Natur entspannt mich, meine Aufregung legt sich nach und nach, und der Ernst des Augenblicks gibt mir innere Ruhe.
    Ich beginne, mir sehr lebhaft den Ort vorzustellen, wo ich morgen von der Schaluppe an Land gehen und meinen Fuß auf den Boden von Simon Bolivar setzen werde, des Mannes, der dieses Land vom spanischen Joch befreit und seinen Söhnen das Gefühl für Humanität und menschliches Verständnis vermacht hat und dem ich heute verdanke, daß ich ein neues Leben beginnen konnte.
    Ich bin siebenunddreißig, also immer noch jung genug. Mein körperlicher Zustand ist ausgezeichnet. Ich bin nie ernstlich krank gewesen und habe mir ein geistiges Gleichgewicht erhalten, von dem ich annehme, daß es ganz normal ist. Der Weg des Verderbens hat keine schimpflichen Spuren in mir zurückgelassen. Und dies vor allem, glaube ich, weil ich ihm niemals wirklich verfallen bin.
    Ich muß nicht nur in den ersten Wochen meiner Freiheit die Möglichkeiten einer neuen Existenz finden, ich muß auch den armen Piccolino pflegen und erhalten. Da habe ich eine große Verantwortung auf mich genommen. Aber wenn ich mir auch dieses schwere Bündel aufgehalst habe, so werde ich doch immer mein dem Direktor gegebenes Versprechen halten und diesen Unglücklichen nicht verlassen, bis ich ihn in einem Spital in guter Pflege weiß.
    Soll ich meinen Vater benachrichtigen, daß ich frei bin? Seit Jahren weiß er nichts von mir. Wo mag er sein?
    Die einzigen Nachrichten, die er über mich erhielt, bekam er durch die liebenswürdigen Besuche der Gendarmerie anläßlich meiner diversen Fluchteskapaden. Nein, das eilt nicht. Ich habe nicht das Recht, die Wunden wieder aufzureißen, die vielleicht in den vergangenen Jahren fast vernarbt sind. Ich werde nach Hause erst schreiben, wenn es mir gutgeht. Wenn ich mir schon eine kleine, einigermaßen gesicherte Existenz geschaffen habe, dann werde ich ihm schreiben können:
    »Lieber Papa, Dein Söhnchen ist frei. Er ist ein anständiger Mensch geworden. Er lebt so und so, auf diese und jene Art, Du brauchst seinetwegen nicht mehr den Kopf zu senken. Und eben darum schreibe ich Dir, denn ich liebe und verehre Dich auf immer.«
    Es ist Krieg, wer weiß, ob sich nicht die Boches in meinem kleinen Dorf niedergelassen haben? Das Ardeche ist kein wichtiger Teil Frankreichs, die Besetzung wird nicht alles umfassen, was sollten sie dort auch suchen, im Schatten der Kastanienbäume? Ja, nur wenn es mir gutgeht, werde ich einen Brief nach Hause schicken.
    Wohin werde ich jetzt gehen? Ich werde mich in einem Dorf in der Nähe der Goldmine niederlassen, Le Callao
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