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Papa

Papa

Titel: Papa
Autoren: Sven I. Hüsken
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sich auf den Schmerz vor, der unausweichlich vor ihr lag.
    Dem Mann war es egal. Für ihn zählte nur eins: Er musste sich beeilen. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. Neben der Liege stand eine niedrige Werkbank. Darauf lag ein metallischer Apparat, der wie eine selbstgebaute Pistole aussah. Außerdem ein regelbares Netzgerät mit Digitalanzeige und eine Batterie Farbtöpfchen, die der Mann nacheinander öffnete.
    Er schnappte sich ein Tuch, nahm die Pistole in die Hand und schaltete das Netzgerät ein.
    Als ein Surren den Raum erfüllte, fing die Frau wieder zu jammern an.
    Der Mann spitzte die Lippen und pfiff. Er spürte die Kraft, die über die Tätowiermaschine in seinen Arm schoss.
    Er tunkte die Spitze der Tätowiernadel in die Farbe und begann sein Werk, während die Schreie der Frau das Zimmer füllten.
    Kunst musste für die Ewigkeit sein und unter die Haut gehen. Er grinste. Das würde sie, da war er sich sicher.

[home]
    Kapitel 2
    M ichelle Kettler wünschte sich, einmal nicht stark sein zu müssen. Wann hatte sie das letzte Mal geweint, geschweige denn gelacht? Sie wusste es nicht. Im Prinzip war es auch egal. Sie lebte im Jetzt und hatte zu funktionieren. Das bisschen, das ihr geblieben war, durfte nicht auch noch zerbrechen.
    Sie dachte dabei an ihre Tochter Lilly, bei der sie immer die Angst hatte, sie würde dies alles nicht heil überstehen.
    Für sie tat sie das. Ohne sie, da war sich Michelle sicher, wäre sie ein anderer Mensch.
    Michelle schaute durch das Küchenfenster auf das Nachbargrundstück. Es war die gleiche Aussicht wie früher, und doch hatte sie sich verändert. Seltsam, wie ein paar Ereignisse die Sicht verschieben konnten.
    Damals war dies hier ihr Zuhause. Ihre Nachbarn waren Freunde. Hier fühlte sie sich geborgen. Aber wenn der eigene Mann in die Psychiatrie eingewiesen wird, werden Freunde schnell wieder zu Nachbarn, und Geborgenheit weicht Gefangenschaft.
    Für einen Umzug fehlten ihr die Kraft und das Geld. Aber jetzt, wo sie wieder als Lehrerin arbeitete, würde sie das nachholen, sobald sie etwas Zeit fand.
    Im Haus gegenüber ging das Licht an. Seit Tagen regnete es schon, daher wurde es nie richtig hell. Michelle verfolgte den Schatten hinter den Gardinen. Das war aus ihren Freunden geworden. Schatten.
    Es musste sich etwas ändern, sonst würde sie selbst bald zu einem Schatten werden.
    Hinter ihr wurde die Tür aufgerissen. Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand Lilly in der Tür. Ihr Trainingsanzug klebte an ihrem Körper, und ihre Haare trieften vor Nässe. In der Hand hielt sie ihre Inlineskates.
    »Was hast denn
du
gemacht? Warum läufst du im Regen rum?« Michelle ging auf sie zu und nahm ihr die Skates ab.
    »Lass mich erst mal sitzen, ja? Dieser blöde Paul war mal wieder besonders witzig.« Lilly ließ sich auf einen der Küchenstühle plumpsen. Sie legte die Arme auf den Tisch und bettete ihren Kopf darauf. Erst jetzt entdeckte Michelle die zerrissene Stelle an der Hose.
    »Mann, du blutest ja. Mit wem hast du dich wieder angelegt?« Sie hastete zum Küchenschrank in der Ecke und holte aus der Schublade eine Schachtel mit Pflaster. Im Vorbeigehen riss sie ein paar Blätter von der Küchenrolle ab, kniete sich vor ihre Tochter und begann, die Wunde abzutupfen.
    »Ach Mama, so schlimm ist es nicht.« Lilly richtete sich auf und verdrehte die Augen.
    »Ja, noch nicht. Warte ab, bis es sich entzündet und sie dir Antibiotikum direkt in die faulende Wunde spritzen müssen.«
    »Mama, du bist ekelig! Eigentlich will ich jetzt nur noch unter die Dusche.
Autsch
«, sie zog das Bein weg, »sei doch vorsichtig.«
    Michelle hob die Augenbrauen. »Ach, ich dachte, so schlimm wäre es nicht? Halt still.« Sie fasste das Bein erneut, riss die Hose, die eh schon ruiniert war, ein Stück weiter auf und klebte ein Pflaster auf die aufgeplatzte Stelle. »Und jetzt mach, dass du aus den nassen Klamotten rauskommst.«
    Lilly zog empört eine Grimasse. »Und was Paul gemacht hat, interessiert dich gar nicht?«
    Michelle schaute ihrer Tochter ernst in die Augen. »Doch! Selbstverständlich. Also, was hat dieser böse, böse Paul gemacht?«
    »Mama! Hör auf mich zu verarschen.«
    »Nein, im Ernst, was hat dieser miese Junge dir angetan?«
    »Er hat mir einen Stock zwischen die Beine geworfen.«
    »Und warum hat er das getan?«
    »Das weiß
ich
doch nicht.«
    Michelle seufzte und stand auf. »Natürlich nicht, denn du bist ein …«
    »…
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