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Papa

Papa

Titel: Papa
Autoren: Sven I. Hüsken
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und gab ihr die Hand. »Frau Lammert, schön, Sie wiederzusehen. Möchten Sie einen Moment hereinkommen? Ich muss Sie allerdings warnen«, er hob einen Zeigefinger, »ein Haus hat zwar die unverfrorene Eigenschaft, allein zu verdrecken, jedoch besitzt es nicht so viel Anstand, sich auch allein zu reinigen.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich bin in letzter Zeit beschäftigt gewesen und noch nicht dazu gekommen, gründlich sauber zu machen. Aber wenn Sie nicht so genau in die Ecken schauen, könnte ich Ihnen eine Kleinigkeit anbieten. Ich komme gerade vom Einkaufen. Wie wäre es mit einem Stück Kuchen?«
    Die Dame warf einen skeptischen Blick an ihm vorbei ins Haus. Für einen Moment verschwand ihr Lächeln, und ihre rosige Haut schien grau zu werden, dann sah sie ihn wieder an und strahlte. »Haben Sie vielen Dank. Machen Sie sich wegen des Schmutzes keine Gedanken. Da sehe ich einfach drüber hinweg.« Sie quetschte sich an ihm vorbei und ging über den Flur. Jeder ihrer Schritte wirbelte ein kleines Staubwölkchen auf. »Eine Frau ist in solchen Dingen geschickter, als es ein Mann je sein kann. Putzen ist eine Wissenschaft, wissen Sie, aber nur die wenigsten Männer bringen die Geduld dafür auf.« Sie drehte sich um, und ihr Porzellanpuppengesicht mit dem gefrorenen Lächeln nahm sein gesamtes Blickfeld ein.
    Ein Schlag, und es zerspringt
, dachte er und wies ihr den Weg. »Wenn Sie das sagen, Frau Lammert.«
    Ein kurzes Bedauern huschte über ihr rundes Gesicht. Offenbar hatte sie eine andere Antwort erwartet. Sie drehte sich auf dem Absatz um und watschelte ihm voraus ins Wohnzimmer, das mit schweren Stoffvorhängen abgedunkelt war.
    Er schaltete das Licht an und bot ihr mit einer Handbewegung einen Stuhl am Esstisch an. »Möchten Sie etwas trinken?«
    Frau Lammert winkte ab. »Nein danke.« Sie machte eine Pause und zuckte unentschlossen mit dem Kopf. Schließlich fügte sie hinzu:
    »Obwohl, vielleicht doch eine Tasse Tee oder Kaffee, falls es recht ist. Wenn Sie haben, hätte ich natürlich auch nichts gegen einen kleinen zusätzlichen Schuss.« Ihr Lächeln verrutschte zu einem schiefen Grinsen.
    Die Lippen des Mannes wurden zu zwei schmalen Streifen. »Ich schau mal, was sich machen lässt. Fühlen Sie sich wie zu Hause. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.«
    Damit ging er in die Küche, stellte den Wasserkocher an und biss in seine Faust. Er hatte keine Zeit für Freundlichkeiten. Sein Blick fiel auf eine Sanduhr, die gegenüber im Regal stand. Bald war es so weit. Er wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab. So wenig Zeit. Zu wenig, um mit Porzellanpuppen zu spielen.
    »Schöne Bilder haben Sie hier«, rief sie ihm aus dem Wohnzimmer zu. »Haben Sie die selbst gemalt?«
    Er öffnete eine der Schubladen und strich mit der Hand sanft über die massiven Holzgriffe der Messer, die darin lagen. Als er das größte gefunden hatte, schloss er die Finger darum und holte es raus. »Das ist schon viele Jahre her«, rief er zurück, während er mit der freien Hand den Vorratsschrank öffnete und einen Fertigkuchen herausfischte. Beides stellte er auf den Tisch neben die Folie und die Farbe. So viel zu tun, und er verplemperte einfach kostbare Zeit.
    »Sie scheinen Rot sehr zu mögen?«
    Ja
, dachte er,
und Blau und Grün und Orange
. »Man hat halt so seine Phasen.«
    »Oh.« Sie klang interessiert. »Und mit welchen Farben haben Sie die gemalt? Sie sehen so frisch aus. Entschuldigen Sie, ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Sie sind so rot. Wie Blut.« Sie lachte auf. »Wie dieses Märchen. Weiß wie Schnee und rot wie Blut. Von den Gebrüdern Grimm, wissen Sie? Sehr hübsch.«
    Als er den Marmorkuchen aus seiner Verpackung befreit hatte, schnitt er ihn vorsichtig in Scheiben. »Es sind Ölgemälde, die ich mit Lack versiegelt habe. Parkettlack, um genau zu sein. Das verleiht ihnen diesen Verglasungseffekt. Aber es hat natürlich auch den Nachteil, dass man bei ungünstigem Lichteinfall nichts mehr erkennen kann. Ich glaube, meine Bilder sind die einzigen auf der Welt, die man im Dunkeln besser sehen kann als bei Tageslicht.« Er lachte, holte zwei Tassen aus dem Schrank, pustete den Staub heraus und legte jeweils einen Teebeutel hinein. Als das Wasser kochte, goss er sie voll, stellte alles zusammen auf ein Tablett und brachte es ins Wohnzimmer.
    Frau Lammert kam ihm entgegen und ging ihm zur Hand. Sie stellte alles auf den Tisch und lächelte ihn an, als hätte sie selbst den Tee gekocht und den
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