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Panic

Panic

Titel: Panic
Autoren: Mark T. Sullivan
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Meter von mir entfernt. Eine ideale Zielscheibe.
    Ich weiß nicht mehr, dass ich meinen Pfeil abgeschossen habe. Die Erinnerung daran wurde von seinem Pfeil, der sich durch das weiche Fleisch meiner rechten Brust bohrte, völlig verschlungen. Er streifte meinen Brustkorb und durchdrang die Muskeln um die Achselhöhle, ehe die Spitze meinen Körper wieder verließ. Mein Arm wurde taub, zitterte und zog sich zusammen. Schwarze Flecken tanzten mir vor Augen. Ich schüttelte den Kopf, um den Schreck loszuwerden. Doch ich konnte förmlich spüren, wie die Kraft aus mir heraussickerte.
    Da hörte ich einen Schrei, die Flecke wurden kleiner und mein Blick wieder klar. Mein Pfeil steckte in Ryans Oberschenkel. Mit beiden Händen packte er das Pfeilende, das über zehn Zentimeter aus seinem Bein ragte. Er starrte mich an. Ein Mittel, um seine Bewegungen zu tarnen. Ich versuchte, meine absterbende Hand aufzufordern, den letzten Pfeil aus dem Köcher zu holen und Ryan zu erledigen, doch sie gehorchte mir nicht. Sie hatte sich zur Klaue verkrampft.
    »Du sollst für Lizzy sterben!«, schrie er mir zu. »Für sie, für Kauyumari und für Tatewari!«
    Ich wusste noch vor Ryan, was er tun würde. Datura machte ihn unempfindlich gegen einen Schmerz, der einen anderen erledigt hätte. Er war zum Tier geworden. Die plötzliche Erkenntnis, dass ich nur an der Oberfläche seines Wahnsinns gekratzt hatte, löste blindes Entsetzen in mir aus. Ich rannte den Hang hinunter, auf den Dream River zu, wobei mir der Arm nutzlos von der Schulter baumelte.
    Ich kann den Schrei nicht beschreiben, den er hinter mir im Wald ausstieß, als er sich den Pfeil aus dem Fleisch riss, weiß nur, dass er sich anhörte wie der Donner unmittelbar nach einem Blitz, und dass ich den Blitz auf mich zog wie ein stählernes Boot auf offener See.
    Ich hatte einen Vorsprung von etwa hundert Metern, während er einen breiten Streifen aus seinem Wolfsfell schnitt, um sich die blutende Wunde zu verbinden. Ich fasste mir immer wieder unter die Jacke, um anhand der klebrigen Nässe unter dem Arm meine eigene Verletzung einzuschätzen. Sicher waren Nerven beschädigt. Auch Muskeln und Sehnen. Doch wie durch ein Wunder hatte sein Pfeil keine Arterie beschädigt. Ich steckte den tauben Arm zwischen Bogen und Sehne und presste ihn gegen den Körper. Der Druck würde den Blutverlust begrenzen und den Arm daran hindern, hin und her zu schlenkern, während ich rannte. Doch als ich mich nach weiteren hundert Metern umdrehte, sah ich, dass ich nicht nur Fußabdrücke hinterließ, sondern auch Blutspuren.
    Wenn Ryan sie fand, wäre sein Blutdurst geweckt, und er würde mich jagen wie ein Wolf seine verwundete Beute. Ich rannte weiter, vertraute auf die Wahrnehmung meines Herzens und auf die Krähe als Verbündete.
    Da drang das schwache Gurgeln des Dream River an mein Ohr, und ich erkannte, dass ich am Flussufer in der Falle säße. Dann wäre alles zu Ende. Auch ich.
    Ich dachte an meine Kinder und an Kevin und fing an zu weinen, bis die Tränen mir die Sicht nahmen. Im nächsten Augenblick verfing ich mich in den Ranken einer Felsenbirne und stürzte auf die verletzte Schulter.
    Der Schmerz fuhr mir durch und durch, dass im Hirn die Funken sprühten. Und in diesem überhitzten Zustand sah ich meinen Vater vor mir stehen, der mir sagte, ich dürfe auf keinen Fall aufgeben, ich solle auf die Art jagen, die ich am besten beherrschte. »Lerne den Hirsch kennen«, hörte ich ihn sagen, und dann war er weg und mit ihm der Schmerz.
    Ich prüfte also das Gelände, wie jeder gute Jäger es tun würde: Mit etwas Geschick von meiner Seite konnte ich die Situation durchaus zu meinen Gunsten herumreißen. Ich ging geradewegs zum Ufer, wand mich aus meinem Anorak und warf ihn über ein Stück Treibholz am Ufer. Meine Mütze legte ich dazu. So konnte man aus dreißig Metern Entfernung durchaus eine zusammengebrochene Frau vermuten. Ich ließ den rechten Arm wieder frei baumeln, schluckte schwer, weil der rote Kreis auf der rechten Brust immer größer wurde, und ging im Zickzackkurs weiter; die dicken Blutstropfen, die auf diese Weise in den Schnee fielen, sollten den taumelnden Gang eines tödlich getroffenen Tiers vortäuschen.
    Ich warf einen Blick auf das Stück Hirschleder und das Foto von Emily und Patrick, das ich mir ans Hemd geheftet hatte. Lizzy Ryans Foto war mit meinem Blut beschmiert. Ich sprang die Uferböschung hinunter und stapfte zwanzig Meter direkt am Wasser entlang nach
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