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Panic

Panic

Titel: Panic
Autoren: Mark T. Sullivan
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Norden, darauf bedacht, nicht auf das dünne Eis zu treten, unter dem die reißende Strömung lauerte. Schließlich arbeitete ich mich mit Händen und Füßen die Böschung hinauf und verkroch mich im Dickicht. Ryan würde mir nur langsam hinterherkommen, wegen der Verletzung im Bein. Ich hatte also Zeit.
    Ich stemmte den linken Fuß zwischen Sehne und unterer Bogenspitze. Dann packte ich mit der gesunden Hand die obere Bogenspitze, zog sie nach unten und nahm das Öhrchen, die Schlaufe, mit der die Sehne am Bogenarm befestigt war, zwischen die Zähne. Sie löste sich beim dritten Versuch. Ich legte den Bogen waagerecht vor zwei Schösslinge, die etwa fünfzehn Zentimeter voneinander entfernt standen, führte die Sehne dahinter vorbei, und dreißig Sekunden später hatte ich sie wieder am Bogen befestigt.
    Während ich mir leise Mut zusprach, um mich von dem Raubtier abzulenken, das meiner blutigen Spur folgte, zog ich keuchend den letzten Pfeil aus dem Köcher und legte ihn zwischen den jungen Bäumen auf die Sehne. Dann platzierte ich mich hinter den Bogen, hob die Waffe etwa auf Kniehöhe, legte drei Finger um die Nocke, stemmte beide Füße gegen die Schösslinge und spannte den Bogen.
    Ich musste mich zusammenkauern, um am Pfeilschacht entlang durch das V der dreieckigen Spitze zu sehen. Ich zielte auf einen Punkt, dreißig Meter vom Ufer entfernt, von dem aus Ryan – dessen war ich ganz sicher – sowohl das viele Blut im Schnee als auch den Anorak und die Mütze entdecken würde. Falls er sich dadurch ablenken ließe, und sei es nur für eine Sekunde, würde ich ihn erledigen.
    Mir blieb keine Zeit, über irgendetwas nachzudenken. Er war plötzlich da, bahnte sich humpelnd einen Weg durch die Felsenbirnen, ging an der Stelle, wo ich hingefallen war, in die Knie, um den Blutfleck zu inspizieren und meinen körperlichen Zustand einzuschätzen. Grinsend stand er auf und tat einen unbeholfenen Schritt aus dem Dickicht.
    »Komm weiter«, flüsterte ich. »Noch drei Meter, du kranker Mistkerl.«
    Ryan ging noch einen Schritt weiter und blieb dann stehen. Er folgte mit den Augen meiner Spur bis hin zur Blutlache, die ich am Ufer hinterlassen hatte. Und entdeckte Anorak und Mütze.
    Wäre ich imstande gewesen, den Bogen mit beiden Armen zu halten, hätte ich ihn jetzt erschießen können. So aber konnte ich die Waffe nicht in seine Richtung bewegen. Ich hatte nur eine Schusslinie zur Verfügung, und er war noch immer knappe zwei Meter davon entfernt.
    Ryan sah sich nach allen Seiten um, nahm den Wald in sich auf. Ich duckte mich, betete zu Gott, die jungen Bäume und das grelle Sonnenlicht in seinem Gesicht würden als Deckung genügen. Für den Bruchteil einer Sekunde stutzte er, als er in meine Richtung sah, und ich spürte, wie sein Blick knapp über mich hinwegglitt, zurückkehrte und sich erneut meinem Anorak und der Mütze zuwendete.
    Er stand reglos da, starrte auf die Kleidungsstücke und das Blut. Ich hatte Bogensehne und Pfeilnocke inzwischen fast vier Minuten lang gehalten, und meine Finger zitterten allmählich.
    »Komm schon her«, flüsterte ich. Und dann bewegte er sich.
    Ob das Zittern meiner Finger oder das plötzliche Nachlassen der Bogenspannung den Schuss auslöste, werde ich nie erfahren. Ich weiß nur noch, dass die Pfeilspitze, als Ryan grinsend in die Schusslinie trat, genau auf seine Brust zielte. Der Pfeil schnellte von der Sehne. Er flitzte als rötlicher Blitz durch die Morgenluft, hielt geradewegs auf ihn zu und traf ihn mit dem dumpfen Geräusch, wenn eine Faust in ein Kissen schlägt. Ryan krümmte sich, ließ den Bogen fallen und griff sich an den Bauch. Ungläubig blickte er an sich herunter.
    »Volltreffer«, sagte er kopfschüttelnd. »Da hat sie mir doch glatt einen Bauchschuss verpasst!«
    Ich war aufgestanden und hatte die Deckung verlassen, weil ich jeden Augenblick damit rechnete, dass er umfallen würde.
    Stattdessen richtete er sich auf und sah mir entgegen. Ich fröstelte, spürte plötzlich den Schatten einer bösen Macht um mich.
    Ryans Augen loderten, als er sein gemeines Messer mit der steinernen Klinge zückte. »Ich mach dich fertig!«, drohte er voller Hass und kam auf mich zu, ohne ein Humpeln, ohne die geringste Spur des Pfeils, der ihm eben noch im Bauch gesteckt hatte.
    Ich rannte hinunter zum Fluss. Möglicherweise hatte Theresa Recht gehabt, dachte ich hysterisch; unter dem Einfluss der Daturadroge war ihm auf herkömmliche Weise nicht beizukommen.
    Ryan
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