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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium
Autoren: Lauren Oliver
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zieht mich das Fieber wieder hinab. Ich habe nur wenige wache Momente, voller unzusammenhängender Eindrücke. Weitere Hände und Stimmen; ich werde hochgehoben; ein Kaleidoskop aus Grün über mir und fraktale Muster am Himmel. Später der Geruch nach Lagerfeuer und etwas Kaltes und Nasses, das auf meine Haut gepresst wird, Rauch und gedämpfte Stimmen, brennender Schmerz an meiner Seite, dann Eis, Erleichterung. Etwas Weiches, das an meinen Beinen entlanggleitet.
    Dazwischen habe ich Träume wie nie zuvor. Sie sind voller Explosionen, brutal: Träume von verwesender Haut und verkohlten Skeletten.
    Alex kommt nie mehr zu mir zurück. Er ist vor mir hergegangen und jenseits des Tunnels verschwunden.
    Fast immer wenn ich aufwache, ist sie da. Das schwarzhaarige Mädchen drängt mich, Wasser zu trinken, oder legt mir ein kühles Handtuch auf die Stirn. Ihre Hände riechen nach Rauch und Zedernholz.
    Und über allem, über dem Rhythmus aus Wachen und Schlafen, aus Fieber und Schüttelfrost, ist das Wort, das sie immerzu wiederholt, so dass es mit meinen Träumen verwoben wird und langsam etwas von der Dunkelheit dort zurückdrängt, mich vor dem Ertrinken rettet: Sicherheit. Sicherheit. Du bist in Sicherheit.
    Schließlich, nach ich weiß nicht wie langer Zeit, lässt das Fieber nach, und endlich treibe ich auf dem Rücken dieses Wortes zurück ins Bewusstsein, sanft, behutsam, als würde man auf einer einzigen Welle den ganzen Weg bis ans Ufer reiten.
    Noch bevor ich die Augen öffne, nehme ich Geschirrklappern, den Geruch von Gebratenem und murmelnde Stimmen wahr. Mein erster Gedanke ist, dass ich zu Hause bin, bei Tante Carol, und sie mich gleich zum Frühstück nach unten rufen wird – ein Morgen wie jeder andere.
    Dann kehrt schlagartig die Erinnerung zurück – meine Flucht mit Alex, der Moment, als uns die Aufseher am Zaun stellten, die Tage und Nächte allein in der Wildnis – und ich klappe die Augen auf und versuche mich aufzusetzen. Aber mein Körper gehorcht mir nicht. Es gelingt mir nicht, mehr zu tun, als den Kopf zu heben; ich fühle mich, als wäre ich in Stein eingeschlossen.
    Das schwarzhaarige Mädchen, das mich offenbar gefunden und hierhergebracht hat – wo immer hier ist –, steht in der Ecke an einer großen, steinernen Spüle. Sie wirbelt herum, als sie hört, dass ich mich im Bett bewege.
    »Ganz ruhig«, sagt sie. Sie zieht die Arme aus der Spüle, nass bis zu den Ellbogen. Ihr Gesicht ist kantig und extrem wachsam wie das eines Tieres. Ihre Zähne sind klein, zu klein für ihren Mund, und etwas schief. Sie durchquert das Zimmer und geht neben dem Bett in die Hocke. »Du warst einen ganzen Tag bewusstlos.«
    »Wo bin ich?«, krächze ich. Meine Stimme ist rau und kaum wiederzuerkennen.
    »Heimatstützpunkt«, sagt sie. Sie sieht mich durchdringend an. »So nennen wir es zumindest.«
    »Nein, ich meine …« Ich versuche zu rekonstruieren, was passiert ist, nachdem ich über den Zaun geklettert bin. Ich kann an nichts anderes denken als an Alex. »Ich meine, ist das hier die Wildnis?«
    Ein irgendwie misstrauischer Ausdruck huscht kurz über ihr Gesicht. »Wir befinden uns hier in freiem Gebiet, ja«, sagt sie vorsichtig, dann steht sie auf, entfernt sich ohne ein weiteres Wort vom Bett und verschwindet durch eine dunkle Türöffnung. Von weiter weg kann ich undeutliche Stimmen hören. Ich bekomme plötzlich Angst, frage mich, ob es ein Fehler war, die Wildnis zu erwähnen, ob ich bei diesen Leuten wirklich in Sicherheit bin. Ich habe bisher noch nie jemanden unkontrolliertes Land »freies Gebiet« nennen hören.
    Aber nein. Wer auch immer sie sind, sie müssen auf meiner Seite stehen. Sie haben mich gerettet und ich war ihnen tagelang vollkommen ausgeliefert.
    Es gelingt mir, mich in eine halb sitzende Position zu bringen und meinen Kopf an die harte Steinwand hinter mir zu lehnen. Das ganze Zimmer ist aus Stein: rauer Steinboden, Steinwände, an denen an manchen Stellen eine dünne Schicht aus schwarzem Schimmel wächst, ein altmodisches Steinwaschbecken mit einem rostigen Wasserhahn, der offensichtlich seit Jahren kaputt ist. Ich liege auf einer harten, schmalen Pritsche und bin mit zerlumpten Flickendecken zugedeckt. Außer der Pritsche, ein paar Blecheimern unter der ausgedienten Spüle in der Ecke und einem einzelnen Holzstuhl ist das Zimmer leer. Es gibt keine Fenster und auch keine Lampen – abgesehen von zwei batteriebetriebenen Notleuchten, die den Raum mit schwachem
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