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Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Pandaemonium - Die Letzte Gefahr

Titel: Pandaemonium - Die Letzte Gefahr
Autoren: Alexander Odin
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war und sie Naomi nicht mehr erkannte, hatte sie sich nicht nur äußerlich grausam verändert, sondern gebärdete sich auch wie eine tollwütige Bestie. Sie brüllte und warf sich in ihren Fesseln hin und her. König, dessen Familie sich ihnen angeschlossen hatte, bot dem Mädchen an, sie zu erlösen, aber Naomi wollte es selbst tun. Sie nahm die Waffe und erschoss ihre Mutter.
    Simone wurde auf dem verschneiten Feld vor dem Bauernhof beerdigt. Naomi blieb noch eine ganze Weile alleine am Grab stehen; über ihr am Himmel kreiste immer wieder ein Schwarm krächzender Raben.
    Nach einem Anflug von tiefer Trauer überkam sie eine große Todessehnsucht – der Wunsch nach Befreiung. Sie wünschte sich nichts mehr, als neben ihrer Mutter im feuchten Grab zu liegen. Sie fiel auf die Knie in den kalten Schnee und begann, laut zu schluchzen. Sie weinte eine sehr lange Zeit und hörte erst damit auf, als sie spürte, wie ihre Finger von der Kälte zu schmerzen anfingen und eine Hand sich auf ihre Schulter legte. Sie drehte ihren Kopf herum.
    Rafael . Gab es eine Zukunft?

77
    Die Graupelkörner, die ihnen der Wind ins Gesicht peitschte, fühlten sich an wie kleine Nadelstiche auf ihrer Haut. Selbst in ihren Parkas aus wasserdichter und windabweisender Kunstfaser, den Lederhandschuhen mit dem Lammfellvlies und den dicken Stiefeln, die sie aus einem Outdoor-Laden in Berlin hatten mitgehen lassen, froren sie.
    Die Rucksäcke vollgepackt und geschultert, stapften sie den Hügel hinauf durch den tiefen Schnee in Richtung Wald. Die beiden Autos hatten sie einfach unten an der Straße stehen gelassen. Selbst Schneeketten halfen ihnen auf dem unwegsamen Gelände nicht weiter.
    Eine Radiodurchsage – es war die letzte vor dem Zusammenbruch sämtlicher Kommunikationskanäle gewesen – hatte sie hierhergeführt: zu den unberührten Waldkarpaten im äußersten Südosten Polens, einem der am wenigsten besiedelten Gebiete Europas. Dort sollte es eine kleine Kolonie von Menschen geben, die fernab von jeglicher Zivilisation in einem der letzten Urwälder des Kontinents einen Neuanfang wagten. Sie waren geflüchtet vor einer Welt, die im Sterben lag.
    Die Gruppe erreichte schließlich den Waldesrand und kämpfte sich dann durch das Unterholz. König marschierte vorweg. Er drehte sich kurz zu seiner Frau Julia und seinen beiden Kindern Flora und Lucas um, die sein Lächeln tapfer erwiderten. Er war überwältigt von Glück, dass ihnen nichts zugestoßen und sie gesund waren. Naomi, Rafael, Paul, Gabriela und der alte Witter folgten dicht dahinter. Ein Windstoß fegte Schnee von den weit ausladenden Zweigen einer Tanne, der auf die sich schweigend fortbewegende Gruppe herabrieselte. Außer dem Knirschen, das die Füße auf dem verschneiten Untergrund erzeugten, und dem Pfeifen des Windes war kein anderes Geräusch zu hören.
    Nur zweimal wurde die Stille gestört, und zwar durch laute Schreie von Lucas. Beim ersten Mal entdeckte er die Abdrücke von Bärentatzen im Schnee, und später glaubte er, einen Wolf hinter einem Baum gesehen zu haben.
    Sie mussten mehrmals anhalten und eine kurze Pause einlegen, weil Witter die Kräfte ausgingen. Nach einer Stunde Marsch durch den Wald erreichten sie einen Hügel, auf dem sie stehen blieben. Von dort blickten sie hinunter auf die schneebedeckten Dächer von Blockhütten, die auf einer größeren Lichtung in einem kleinen Tal standen. Aus Lehmschornsteinen stieg Rauch in den eisblauen Himmel empor.
    Nach einer Ruhepause stiegen sie hinab.
    Die Kolonie befand sich noch im Aufbau. Viele der Blockhütten waren nur zur Hälfte fertig, bei manchen war gerade mal das Fundament gelegt. Es gab Unterstände, wo Holz und Heu gelagert waren und mehrere Schafe, Ziegen und ein Esel standen.
    Die Gruppe steuerte auf eine Hütte zu, in deren Fenster das Licht von Kerzen flackerte. König stieg die drei Stufen der kleinen Holztreppe hinauf und klopfte gegen die Tür der Hütte. Es dauerte nicht lange, da ging sie langsam mit einem knarrenden Geräusch auf. In der Tür stand ein noch recht junger Mann, der blondes, lockiges, halblanges Haar hatte. Mit seinem Karohemd, den Hosenträgern und der Arbeiterjeans sah er aus wie ein Holzfäller.
    Er ließ seinen Blick zunächst über die Gruppe wandern, dann sagte er ruhig: »Kommt rein!«
    Das Innere der Hütte war karg eingerichtet: zwei Betten, darüber Bücherregale, in der Mitte des Raumes ein großer Holztisch. An ihm saßen mehrere Leute, die alle von ihren
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