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Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live

Titel: Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
Autoren: Stephen Booth
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    Sonntag, 23. Oktober
     
     
    R ose Shepherd fand auch in der Nacht ihres Todes keinen Schlaf. In den frühen Morgenstunden glich ihr Bett einem Schlachtfeld – heiß, verwüstet, chaotisch. Im Laken unter ihr befanden sich schmerzhafte Falten, das Kopfkissen war hart und unnachgiebig. Der Schlafmangel verursachte ihr Kopfschmerzen, und ihr ganzer Körper war steif vom unbequemen Liegen.
    Schlaflosigkeit war für Miss Shepherd jedoch nichts Neues, sondern war für sie inzwischen zu einem alten Freund geworden, der sie stets begleitete. Oft wartete sie stundenlang in der Dunkelheit, bis der erste Vogel zu singen begann, und hielt nach dem Grau der Morgendämmerung Ausschau, weil sie wusste, dass dann Leben in die Ortschaft kam. Bei Tagesanbruch war hin und wieder das Motorengeräusch eines Lieferwagens auf der Straße zu hören, wenn sich jemand auf den Weg zur Frühschicht im Steinbruch machte, oder das Rumpeln eines Traktors auf dem Feld hinter ihrem Haus. Dann fühlte sie sich nicht mehr ganz so allein wie in der Nacht.
    Das war Rose Shepherds Welt: ein Geräusch in der Ferne, eine undeutliche Stimme, ein flüchtiger Augenblick indirekten Kontakts. Ihr gesamtes Dasein spielte sich innerhalb so enger Grenzen ab, dass sie das Gefühl hatte, in einer kleinen dunklen Schachtel zu leben. Schon beim kleinsten Lichtspalt kam es ihr vor, als erhaschte sie einen Blick von Gott.

    Um zwei Uhr war Rose bereits zweimal aus dem Bett aufgestanden und ziellos im Zimmer auf und ab gegangen, um sich davon zu überzeugen, dass sie noch am Leben war und sich bewegen konnte. Dann stand sie ein drittes Mal auf, um sich ein Glas Wasser zu holen, das sie im Stehen in der Mitte des Schlafzimmers trank. Dabei vergrub sie die Zehen tief in dem Schaffell-Bettvorleger und klammerte sich an seine behagliche, anspruchslose Weichheit, die sie beinahe zu Tränen rührte.
    Wie immer drehten sich ihre Gedanken um die Ereignisse des Tages. Sie konnte nichts dagegen tun. Es war, als würde in ihrem Kopf ein Film abgespielt, der in einer Schleife hängen geblieben war, sodass sich dieselben Szenen immer und immer wieder wiederholten. Wenn diese nicht vom vergangenen Tag stammten, handelte es sich um Bilder von früher – einige davon waren viele Jahre alt und gehörten zu einem anderen Abschnitt ihres Lebens. Die Szenen liefen vor ihrem inneren Auge ab, dann hielten sie an, damit sie sich den Kopf zermartern konnte, ob sie irgendetwas hätte anders machen können, ehe sie wieder von vorn begannen und sie damit verhöhnten, dass vergangene Ereignisse nicht mehr zu ändern waren. Was geschehen war, war geschehen.
    Natürlich war das einer der Gründe, weshalb sie nicht schlafen konnte. Ihr Gehirn war zu sehr beschäftigt, und ihre Erinnerungen waren zu lebendig. Nichts schien die Gedanken bremsen zu können, wenn sie vorwärts und rückwärts durch ihr Gewissen schlichen wie wilde Tiere, die ruhelos und ängstlich am Waldrand umherstreiften.
    Doch Rose war froh, dass sie trotz ihrer anfänglichen Bedenken am Tag zuvor das Haus verlassen hatte. Jeder Ausflug barg Gefahren, auch wenn der Weg nur über den Hügel und hinunter in die drei Meilen entfernte Ortschaft Matlock Bath geführt hatte. Trotz eines Abstechers ins Einkaufszentrum war sie zu früh in der Ortschaft angekommen und hatte Zeit totschlagen müssen, nachdem sie ihren Volvo geparkt hatte.

    Als Rose in ihrem Schlafzimmer stand, musste sie bei dem Gedanken an ihre eigene Schwäche lächeln. In Matlock Bath hatte reges Treiben geherrscht, womit sie eigentlich hätte rechnen müssen. Zunächst hatten sie die Menschenmengen auf der North Parade und die Motorradfahrer in ihrer Lederkluft beunruhigt, die in Gruppen bei ihren Maschinen standen und Fish und Chips aus Papiertüten aßen. Im Vorbeigehen war der Geruch so überwältigend gewesen, dass sie befürchtet hatte, in Ohnmacht zu fallen. Und das hätte sie sich auf keinen Fall erlauben dürfen.
    Sie drehte sich langsam auf dem Teppich um und kämpfte gegen die Benommenheit und die Orientierungslosigkeit an, die daher rührten, dass sie wach war, obwohl ihr Körper nach Schlaf verlangte. In ihrem Schlafzimmer gab es nur zwei Lichtquellen: das Zifferblatt ihres Weckers, auf dem die Zeiger auf zwei Uhr dreiunddreißig standen, und das Echo seines grünlichen Leuchtens im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Sie hatte Schwierigkeiten, sich auf das Licht zu konzentrieren, da sie seine Entfernung von seinem Spiegelbild nicht einschätzen
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