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Palzki 09 - Ahnenfluch

Palzki 09 - Ahnenfluch

Titel: Palzki 09 - Ahnenfluch
Autoren: Harald Schneider
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eine reine Sisyphusaufgabe. Bei jeder Bewegung nutzte meine Unterhose die physikalischen Gegebenheiten rigoros aus und bewies 300 Jahre nach Newton die Gültigkeit der Schwerkraftgesetze.
    Ich weiß nicht, warum mir in dieser Situation Mister Bean einfiel. Aber nach fünf Minuten hingen die beiden Beinöffnungen meines Slips kurz oberhalb der Kniekehlen. Das Gefühl, mit nacktem Hintern vor 80 Leuten zu stehen, war unbeschreiblich. Die Taktik, mich auf die vorzulesende Geschichte zu konzentrieren, klappte nur bis zur jeweils nächsten Bewegung. Jedes Lächeln oder Lachen der Zuhörer interpretierte ich nicht als Feedback meiner Vortragskunst, sondern als Entdeckung meines privaten Geheimnisses.
    Dem nicht genug, saß in der ersten Reihe eine Dame mit einem dauerfetten Grinsen, die ständig vielsagend nickte, so als hätte sie meine unfreiwillige exhibitionistische Neigung längst zur Kenntnis genommen. Es war unmöglich, den Blick längere Zeit von ihr abzuwenden.
    Nach 45 Minuten war es geschafft, die Pause war erreicht. Normalerweise setze ich mich dann an den Büchertisch und beginne fleißig zu signieren. Der Buchhändlerin raunte ich etwas von Darmproblemen zu und dass ich leider erst nach der Veranstaltung signieren könnte.
    Ich kam zu spät, die Herrentoilette besaß nur eine einzige Kabine und die war besetzt. Dauerbrummgeräusche übelster Art und Geruches schallten und schwebten durch den hellhörigen Raum. Ich stand da und litt. Ein Urinbeckenbenutzer fragte mich sogar aus Spaß, ob ich die neue Aufsicht wäre.
    Zehn Minuten später, die Pause näherte sich dem Ende, ging die Kabinentür auf und ein älterer Mann kam lächelnd und sichtbar erleichtert heraus. Wieder einer, der sich zu Hause das Klopapier sparte, dachte ich gehässig. Ich ging sofort dahin, wo er herkam und hätte mich beinahe sofort in der Schüssel übergeben. Das war kein Ort für feine Nasen. Olfaktorisch lag ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konventionen vor. Nachdem ich mich mehr schlecht als recht daran gewöhnt hatte, zog ich meine Hose herunter. Im Nachhinein wäre es wohl besser gewesen, den defekten Slip auszuziehen, doch auf die besseren Ideen kommt man meist erst später. Bereits zu Pausenbeginn hatte ich aus meinem Koffer eine Rolle Kreppband eingesteckt, mit dem ich zwecks Dekoration die Bühne mit ein paar Metern Polizeiabsperrband abgeklebt hatte. In meiner Not fixierte ich den Slip an der idealtypischen Stelle meines Unterkörpers mit mehreren Streifen Kreppband. Insgesamt sah das Resultat etwas verwegen aus, aber das Krepp heiligte die Mittel. So dachte ich jedenfalls. Kaum fertig, hörte ich, wie Pit den Gong zum Pausenende schlug. Die folgenden 20 Meter, dabei musste ich noch eine Etage nach oben gehen, waren die schlimmsten meines Lebens. Es ist nämlich so, dass ich ein lebendiger Beweis für die Evolutionstheorie bin. Zumindest was meinen Haarwuchs angeht. Selbstverständlich hatte Newton kein Erbarmen mit mir, der Slip zog nach wie vor nach unten. Die Kreppbandstreifen, ich glaube, es waren deren acht, reizten durch den Zug die Haut, und was noch schlimmer war, die zahlreichen Körperhaare. Ich hatte gerade den Hardcore-Epilierer für Masochisten erfunden. Zwar mit leichten Kinderkrankheiten, aber er funktionierte zur vollen Befriedigung. Leider gehöre ich einer anderen Zielgruppe an. Ich quälte mich durch weitere 45 Minuten und ignorierte selbst den Klebebandstreifen, der sich irgendwann löste und schließlich am Ausgang des Hosenbeins herausfiel. Wahrscheinlich hat es außer mir niemand gesehen.
    Mir fiel während des Vortrages ein, dass weitere Pein drohte. Die Büchereileiterin hatte Pit und mich nach der Veranstaltung zum Essen eingeladen. »Da können wir hinlaufen, sind nur etwa 200 Meter«, hallte mir das Gesagte durch den Kopf, während ich mich bemühte, nur das vorzutragen, was auch im Buch stand.
    Da soll noch mal eine Frau sagen, Männer wären nicht multitaskingfähig: vorlesen, Schmerzen ignorieren und eine Lösung überlegen, um das Essen abzusagen. Eine Vermischung dieser drei Tasks wäre mindestens tödlich gewesen.
    Irgendwann war es aber doch geschafft. Noch schnell ein paar Unterschriften hingekritzelt, während Pit die Gerätschaften abbaute, dann durfte ich mich mit simulierten Bauchschmerzen verabschieden. Als wir im Auto saßen, meinte Pit: »Heute hast du rumgestanden wie ein Roboter, hast du dir in die Hose geschissen?«

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Harald Schneider im
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