Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Pakt der Könige

Titel: Pakt der Könige
Autoren: Ange Guéro
Vom Netzwerk:
einen fremdartigen Dialekt sprachen. Die meisten Häuser waren leer, denn der Krieg, der im Norden schwelte, hatte ihre Bewohner auf die Landstraßen fliehen lassen.
    Leer. So fühlte sich auch Arekh: Eine verzehrende Leere war in ihm gewachsen, seit er Harabec verlassen hatte. In den ersten Wochen hatte er sie ertragen oder ignoriert. Er hatte getan, worauf er sich verstand, hatte sich als Leibwächter anheuern lassen, als Söldner gekämpft, ein bisschen Geld verdient. Aber was er erlebte, schien er wie von außen zu beobachten, wie Bilder einer Geschichte, als ob er einer Erzählung lauschte, in der jemand anderem als ihm all diese Dinge widerfuhren. Es war ihm dennoch gelungen, Tag für Tag weiterzuleben, als ob die Existenz eine Treppe sei und es ihm jeden Morgen schwerer fiel, die nächste Stufe zu erklimmen.
    Heute war es zu Ende. Die Leere hatte gewonnen. Die Bitterkeit hatte ihn verschlungen, oder vielleicht war »Bitterkeit«
noch ein zu schwaches Wort für die Düsternis und das Gefühl von Absurdität, die ihn ergriffen hatten. Irgendetwas hatte sich geändert … Sicher lag das an der Zerstörung der Stadt und all den Toten, oder vielleicht am Anblick des jungen Mädchens mit den blutbefleckten Schenkeln in dem so züchtigen Kleid. Ein Tropfen Öl war in einen schon vollen Krug gefallen, und der Krug war plötzlich übergelaufen, und die Dunkelheit hatte gesiegt.
    Er konnte so nicht weiterleben.
    Er konnte nicht weiterleben … Wollte er überhaupt leben? Diese Frage ging ihm durch den Sinn, während um ihn der Geruch des noch taufeuchten Grases aufstieg. Wollte er sterben? War er seiner Verbrechen und der fortgesetzten Ironie seines Lebens so müde, dass er ganz einfach nicht mehr die Kraft hatte, sich all dem zu stellen?
    Er versuchte, sich die Frage aufrichtig zu beantworten. Wollte er sterben? Er holte tief Atem, roch den Duft des Klees, spürte die milde Sonne auf seinem Gesicht. Bei Sonnenaufgang hatte er in der Nähe des Dorfes bewundert, wie ein silbriges Leuchten die Dächer aus blauem Stein überzog.
    Nein. Nein, er wollte nicht sterben, sonst hätten diese Kleinigkeiten ihn unberührt gelassen. Aber er konnte so nicht weitermachen, kein Werkzeug sinnloser Zerstörung sein und nicht weiter mit ansehen, wie die Tage sich aneinanderreihten und doch nur ein absurdes Mosaik abstoßender Massaker bildeten.
    Was soll ich tun ?
    Ein leichter Schritt ließ einen Zweig neben ihm knacken. Er öffnete die Augen und sah, dass die kleine Sklavin ihn beobachtete.
    Er hätte ihr zubrüllen sollen, zu verschwinden, aber die
Tatsache, dass sie ausgerechnet in dem Moment erschienen war, als er sich diese Frage gestellt hatte, berührte ihn. Das Kind war ihm die ganze Zeit über gefolgt. Er wusste nicht, wie es sich ernährt hatte, und es hatte nicht gewagt, näher zu kommen; nun hatte es wohl nur deshalb den Mut gefunden, den Abstand zwischen ihnen zu verringern, weil es glaubte, er sei eingeschlafen.
    »Was soll ich tun?«, fragte Arekh laut und sah das Kind an.
    Die Kleine beschränkte sich darauf, ihn eine Weile mit weit aufgerissenen, großen Augen zu mustern. Ihre schon von Natur aus blasse Haut wirkte aschfahl, angespannt von Übermüdung und Hunger, so dass man durch die Oberfläche schon die zarten, blauen Adern schimmern sah. Natürlich war der Anblick zu bleicher Haut und zu blasser Augen, die ein Kennzeichen der Sklaven waren, für jedes frei geborene Geschöpf an sich schon abstoßend, aber selbst, wenn Arekh sich das Mädchen mit goldbrauner Haut und schwarzen Haaren vorstellte, wäre sie nicht schön gewesen. Ihr Gesicht war zu kantig, ihre Züge nicht zart genug. Nur die Augen, die das Gesicht dominierten, hätten einen gewissen Reiz haben können, wenn sie eine andere Farbe gehabt hätten.
    Sie war bei weitem nicht so schön wie …
    Er zwang sich, jeden Gedanken an »die andere« aus seinem Verstand zu verbannen, und sah die kleine Sklavin an, als erwartete er von ihr, seine Frage zu beantworten.
    Zu seinem großen Erstaunen tat sie es.
    » Überlass dein Schicksal und jede Handlung deines Lebens dem Ratschluss der Götter «, sagte sie mit klarer Stimme. Als sie Arekhs überraschten Blick sah, fügte sie hinzu: »Das hat meine Großmutter immer zu mir gesagt.«

    »Deine Großmutter?«, fragte Arekh.
    »Sie hat in der Küche gearbeitet«, erklärte das kleine Mädchen. »Sie ist vor zwei Jahren gestorben.«
    Arekh fragte nicht nach, in welcher Küche. Für eine kleine Sklavin war die Familie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher