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Pakt der Könige

Titel: Pakt der Könige
Autoren: Ange Guéro
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ihrer Herren das Leben, der Tod und der Mittelpunkt des Universums. Für sie musste das offensichtlich sein. Vielleicht hatte die Kleine den Eltern des Mädchens im Wollkleid gehört. Obwohl sie nicht besonders reich gewesen sein konnten, hatten sie sicher über die nötigen Mittel verfügt, sich einige Dienstboten zu halten. Es sei denn, sie hatte der Frau mit den schwarzen Haaren gehört, die zu den Göttern gebetet hatte, als er gegangen war …
    Die Götter.
    Überlass dein Schicksal und jede Handlung deines Lebens dem Ratschluss der Götter .
    Darüber hätte er mit Bitterkeit und Schmerz gelacht, als er Harabec verlassen hatte, aber heute, da er Antworten, ja, die Antwort suchte, hatte diese hier einen ironischen Beiklang, der ihm nicht missfiel.
    Das Böse, das an ihm nagte, seit er von dort abgereist war, hatte einen Namen und ein Gesicht. Das einer Frau, die er geliebt hatte und die ihn betrogen hatte. Nicht mit einem Mann betrogen, nein, aber in jeglicher Hinsicht betrogen: Sie hatten ihn über ihre wahre Natur und über den Sinn seines Lebens getäuscht, den er wiederzuentdecken geglaubt hatte, nachdem er ihm geraubt worden war. Und diese Frau hatte alles vernichtet, alles beschmutzt, indem sie ihm gesagt hatte - der Satz tat ihm weh, als sei es schon Blasphemie, ihn nur zu wiederholen -, dass die Götter nicht existierten.
    Und die Welt war hohl und leer geworden, und die Einsamkeit
und der Anblick von Blut waren doppelt so fürchterlich wie zuvor, denn wenn es keine Götter gab, wenn nichts in den Sternen geschrieben stand, welchen Sinn hatten dann das Leben, der Tod und das Leid?
    Aber das Kind wirkte so sicher. Die Götter waren in seinen Augen so offensichtlich - wie in denen der unsichtbaren jungen Frau, die in den Ruinen zu Arrethas gebetet hatte.
    Warum nicht?
    Überlass dein Schicksal und jede Handlung deines Lebens dem Ratschluss der Götter.
    Ja, diese Worte aus dem Munde einer anderen Tochter des Türkisvolks zu hören, war zumindest … lustig. Paradox. Und Arekh hatte noch keinem Paradox widerstehen können.
    »Deine Großmutter hatte recht«, sagte er und stand auf. »Der Gedanke erscheint mir klug …«
    Es gab vielerlei Wege, sein Leben den Göttern zu weihen. Der erste und einfachste, den die arme Küchensklavin sicher im Sinn gehabt hatte, war der, sich vom Schicksal treiben zu lassen, jedes Ereignis und jegliches Leid einfach hinzunehmen. Aber es gab noch andere Methoden: Rituale, von denen Arekh im Laufe seiner Reisen im Norden gehört hatte. Eines von ihnen nannte sich »der Weg der Steine«. Diejenigen, die großes Leid erfahren oder schwere Verbrechen begangen hatten, konnten ihren weltlichen Besitz im Tempel von Kinshara dem Fîr zum Geschenk machen. Lâ gab ihnen im Austausch für ihr Vermögen - Arekh glaubte, Marikani lächeln zu sehen, und verscheuchte das Bild aus seinem Geist … Im Austausch für ihr Vermögen gaben ihnen also die Priester eine gewisse Anzahl von Kieselsteinen, und diese bestimmten fortan ihr Leben durch den Ishna-Wurf.

    Der Ishna-Wurf …
    Arekh versuchte, sich an die Einzelheiten zu erinnern, und begann, Steine aufzusammeln. Wie viele musste er nehmen? Wie sollte er wissen, wann er aufhören musste? Ein Stein fiel ihm aus der zu vollen Hand; das sah er als Zeichen an.
    Die kleine Sklavin trat einen Schritt näher und beobachtete ihn verwundert.
    Arekh zog einen heiligen Kreis um sich, bezeichnete die vier Himmelsrichtungen und zählte dann seine Steine - dreiundzwanzig. Jetzt musste er die Steine werfen - wie genau lief das Ritual noch einmal ab? -, ja, er musste sie hochwerfen, aber nicht irgendwie, sondern indem er sich drehte, im Ishna-Wurf, der die ruckartige Handbewegung beim Ausstreuen von Saatgut nachahmte.
    Er drehte sich und warf die Kiesel wie Korn. Die Landschaft drehte sich mit ihm, und einen Moment lang hatte er eine Vision - eine Vision, die wohl erst später ihren Sinn gewinnen würde, die Vision, dass alles möglich war, dass die Sonne ihn rief, dass alle Straßen ihm offen standen und dass er etwas zu tun und etwas zu verstehen hatte … Aber er verstand nichts und warf den letzten Stein mit einem Gebet zu den Fenyis, den schwarzen Vögeln des Arrethas.
    Das kleine Mädchen beobachtete ihn noch immer reglos; von Zeit zu Zeit durchlief sie ein leichter Schauer der Erschöpfung.
    Die Steine lagen im ganzen Kreis verteilt. Fünf waren um das Zeichen herum gefallen, das für den Süden stand, sechs zwischen Süden und Westen, drei im Osten,
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