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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Brendler
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Delphine de Brulée glauben wollte. Zuerst hatte sie haltlose Strümpfe gelesen. Mei! Haltlose Strümpfe und rote Spitzendessous. Frauen in Paris schienen immer bereit zu sein für außergewöhnliche Zufälle. Aber sie musste für nichts bereit sein. Es war unwahrscheinlich und auch gar nicht wünschenswert, dass Matthias Glatthaler, der Vater ihrer Tochter Susn, sie heute Abend nackt sehen würde.

    Auch damals, vor siebenundzwanzig Jahren, waren sie nicht nackt gewesen. Jedenfalls nicht komplett. Genau genommen nur dort, wo es nötig war, um ein Kind zu zeugen. Für alles andere war es zu kalt gewesen. Zehn Grad unter null. Was der Hitze ihrer Leidenschaft keinen Abbruch getan hatte. Jeder Gedanke an Kondome war lächerlich erschienen. Wo hätten sie auch welche hernehmen sollen? Sie befanden sich in einer Hütte. Genauer gesagt, einem Baumhaus. Umzingelt von einer Hundertschaft Polizisten. Auf so etwas musste eine Delphine de Brulée erst einmal kommen! Die besten Geschichten schrieb eben immer noch das Leben selbst.
    Therese setzte ihren Lieblingshut auf, das Indiana-Jones-Modell, entschied sich wider besseres Wissen für die unbequemen Cowboystiefel und verließ die Wohnung. Bevor der Bus abfuhr, hatte sie noch Zeit für eine kleine Inspektionsrunde. Sie stieg die steilen Stufen hinunter, trat hinaus auf den Parkplatz. Die Plakatwand neben dem Hinterausgang ihres Ladens war eigens für die Wahl aufgestellt worden. In der Mitte hing das Plakat des amtierenden Bürgermeisters. Für den Wahlkampf war ihm und seinen Beratern kein anderer Slogan als: I bin der Bürgermeister! eingefallen. Womit klar war, dass er sich endgültig disqualifiziert hatte. Die Wahl, jeder im Dorf wusste es, würde zwischen Therese Engler und Fredl Weidinger entschieden werden. Tradition braucht Zukunft – Therese Engler für Neuenthal! stand unter ihrem Foto. Aufgenommen von ihrem Neffen Quirin. Ein guter Tierarzt war ihr Neffe und ein noch besserer Sportler. Es wäre vom Schicksal wohl zu viel verlangt gewesen, ihn auch noch zu einem begnadeten Fotografen zu machen. Der Computerausdruck nahm dem Bild die letzten Spuren künstlerischer Qualität. Aber die Aufnahmen, die sie bei Foto Hübner in der Kreisstadt hatte machen lassen, waren noch greislicher ausgefallen. Hübner hatte ihr die ganze Zeit in den Ohren gelegen, sie solle halt einmal recht nett lächeln und sich vielleicht ein bisserl in den Hüften wiegen, als ob sie tanze. Als Bürgermeisterin! Fredl Weidinger dagegen, sie musste es zugeben, sah gut aus. Was eindeutig am Retuscheur lag. Seine Glatze blitzte mit dem Bruce-Willis-Ohrringerl um die Wette, und der Schriftzug Starke Arme für ein aufgeräumtes Neuenthal! war aufwendig gestaltet, in weißblauen Rauten. Ärgerlich. Und noch ärgerlicher war sein Werbefilm, der jeden Abend im Kino des Nachbarorts Mohnau lief. Er zeigte Fredl-Supercop bei seiner nervenaufreibenden Arbeit als Leiter der brandneuen Polizeidienststelle von Neuenthal. In der ersten Szene stieg er schneidig auf sein Motorrad – als ob nicht jeder wüsste, dass er erst vor ein paar Monaten einen Bandscheibenvorfall gehabt hatte! – und brauste die Uferstraße entlang zu den Klängen von Born to be wild. Es kam vor, dass das Publikum bei dieser Szene Beifall klatschte, und Fredl selbst verbreitete das Gerücht, bei den Touristen sei der Film Kult. Und wenn schon! Touristen wählten nicht den Neuenthaler Bürgermeister.
    Aber Fredl war eben nicht der Hellste. Heute nicht und damals nicht, als er mit ihr zur Schule gegangen war. In der Schule war Fredl Weidinger nur toleriert worden, weil er eine Taucheruhr mit allem möglichen Schnickschnack besaß, um die ihn sämtliche Jungen beneideten. Die Madln hatten ihre eigene Art, sich Fredls Uhr zunutze zu machen: In sich dahinschleppenden Unterrichtsstunden war alle fünf Minuten ein fragend flüsterndes »Fredl-Schatzerl« zu hören, worauf Fredl Weidinger stolz die genaue Zeit und als Extra-Service die Minutenzahl bis zum Klingeln verkündete. Dass Fredl daraus schloss, er sei ein Mädchenschwarm gewesen, war sein Problem. Und dass er auch heute noch mit der Angabe der genauen Uhrzeit reagierte, wenn eine Frau im richtigen Tonfall »Fredl-Schatzerl« flötete, ebenfalls.
    Sie wandte sich ab, überquerte den Parkplatz und knirschte in ihren Cowboystiefeln den kurzen Kiesweg entlang zu ihrer Pension. Schon im Flur schlug ihr der Geruch nach Putzmitteln entgegen. Die Kathi anscheinend in großer Menge versprüht hatte.
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