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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Brendler
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Leberkassemmeln und war im angeschlossenen Friseursalon für die Herrenschnitte und einfache Nail-Art zuständig. Außerdem putzte sie in Thereses Pension. »Des nenn i a Karriere«, hatte sie nur sagen müssen, und Toni war still gewesen. Allerdings nur für ungefähr zwei Sekunden. Dann war ihr eingefallen, dass Kathi bald eine gute Partie machen würde. Eine sehr, sehr gute Partie. Ha! Reines Wunschdenken von Toni. Außerdem: Heiraten konnte jeder. Auch Susn. Kruzifix! Hier, halbnackert in ihrem Wohnzimmer, konnte sie es noch immer nicht glauben. Dass ihre kleine Susn in genau sechs Wochen im Brautkleid vor den Altar treten würde. In dem schneeweißen Hochzeitsdirndl mit dem Organzaschleier, das Therese für vierhundert im Einkauf bekommen hatte. Geführt von ihrem Vater. Der genau genommen der Grund war, warum sie hier stand, vor dem Spiegel. Im Begriff, eine Sichtung des Bestands vorzunehmen. Schließlich war sie Geschäftsfrau. Man musste wissen, was man auf Lager hatte. Auch wenn man nicht die Absicht hatte, davon Gebrauch zu machen. Noch einen Schluck Likör aus dem Stamperl auf dem Schreibtisch. Und los! Weg mit dem BH! Befreiung der Brüste wie bei Delphine de Brulée. Liberté! Egalité! Und was war gleich das Dritte? Egal. Beschwingt öffnete Therese ihren BH, befreite, was zu befreien war, und stieg aus ihrem Slip, aus dessen Stoff man gut und gerne fünf französische Stringtangas hätte fertigen können.
    Dann trat sie vor den Spiegel.
    Atmen. Betrachte dich, als wärst du eine Landschaft, Therese. Mit einem Blick, der es nicht eilig hat. Nimm an. Die Füße, auf denen du stehst. Die Schienbeine, die Rundung deiner Knie. Und darüber die Oberschenkel: ein Gelände aus kleinen Hügeln und Tälern. Eher militärisches Übungsgebiet als eine Traumlandschaft. Jetzt hatte er es doch etwas eiliger, der kontemplative Blick, verweilte nicht lang auf weich geschwungenen Hüften, verblassten Schwangerschaftsstreifen, einer durchaus vorhandenen Taille. Bei deren Konturen sich der Große Designer ein bissl mehr Mühe hätte geben können. Aber vielleicht lag es auch nicht an ihm, sondern an ihrer Vorliebe für Apfeldatschi mit Sahne. Die sich in letzter Zeit von einer Vorliebe zu einem dringenden Bedürfnis gewandelt hatte. Anscheinend gehörte sie zu den Menschen, denen bei Stress Apfeldatschi besser half als Meditation. Immerhin hatte sie einen Meditationskurs besucht, vor ein paar Jahren, an der Kreisvolkshochschule, und hatte gelernt, tief in ihre Mitte zu atmen. Wie auch jetzt. Sie atmete. Sah zu, wie ihre Brüste sich hoben und wieder senkten. Und senkten. Und … mei! Wohin denn noch? Beeindruckt von der Allgegenwart der Schwerkraft schloss sie einen Moment die Augen.
    Der Gedanke an den Bleistifttest war demütigend.
    Aber nicht mehr zu vertreiben.
    Als sie ihn mit kichernden Freundinnen das erste Mal durchgeführt hatte, im Alter von zwanzig, hatten sie einfache Holzbleistifte genommen. Ohne Radiergummi. Alle hatten den Test bestanden. Sie, Therese, allerdings nur mit etwas Schummelei, einem energischen Nachwippen, bis der Stift endlich auf den Boden fiel. Nur ein fallender Bleistift war gut. Ein klemmender Bleistift hieß: Hängebusen, »a Euter wie a Kuh«, wie Toni, damals noch schlank, kichernd hervorgestoßen hatte. Jetzt, nach dreißig Jahren in ihrer Metzgerei mit angeschlossenem Nail-Art-Studio und Friseursalon, würde Toni wohl mühelos eine Bierwurst unter jeder Brust bergen können. Ein schwacher und unwürdiger Trost. Nackt schlenderte Therese hinüber zu ihrem Schreibtisch, betrachtete eine Weile die herumliegenden Stifte, blickte an sich herunter.
    Sollte sie gleich den Edding …? Oder doch ihren Lieblingsbleistift mit der zarten Gravur? Auf die Gefahr hin, ihn niemals wiederzufinden? Nein. Sie drehte sich weg vom Schreibtisch, so schwungvoll, dass sie fast das Gleichgewicht verlor. Sie hatte ihren Stolz. Sie würde nicht nackert in ihrem eigenen Wohnzimmer stehen und so lange mit den Brüsten wippen, bis die Stifte fielen. Sie warf einen schnellen Blick auf ihre Armbanduhr, das Einzige, was sie noch am Leib trug, dann zog sie sich wieder an: den weißen BH, den bequemen, vernünftigen Slip, das Kleid – ein neues Modell aus ihrem Shop, das Wildlederdirndl für Singles mit dem Reißverschluss vorne, schürzenlos und figurschmeichelnd. Dazu die Strumpfhosen mit dem Blumenmuster. Keine halterlosen Strümpfe. Wie sie Frauen in Paris anscheinend an ganz normalen Arbeitstagen trugen, wenn man
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