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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Brendler
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Badezimmerspiegel diesen Moment gnadenloser Ehrlichkeit gegönnt. Und festgestellt, dass die Tabelle der Figurtypen dringend um den Typ Pinguin erweitert werden müsste.
    Die Waage bestätigte es: Seit letztem Herbst, als ich zurück ins Dorf und mit Timo zusammengezogen war, hatte ich einige Kilo zugelegt. Timo verfügte über einen beneidenswerten Stoffwechsel. Beim Lesen oder Fernsehen im Bett verdrückte er so mühe- wie folgenlos eine Jumbotafel Vollnussschokolade und eine große Tüte Chips. Gefolgt von einem kleinen Nachschlag Eis mit Schokosplittern. Schon allein von den Krümeln auf dem Laken konnte ein Mensch mit einem weniger aktiven Stoffwechsel zunehmen. Und ich muss zugeben, dass es nicht bei den Krümeln geblieben war. Mit behutsamen Diäten war meinen Problemzonen nicht beizukommen, also hatte ich mich am Ernährungsplan von Topmodels orientiert, um den Pinguin so schnell wie möglich in eine Wespe zu verwandeln.
    Noch war ich längst nicht bereit für das Modell Meerjungfrau. Sollte ich auch noch auf den Hauch Parmesan zu meinem gedünsteten Gemüse verzichten? Die Zahl der Sonnenblumenkerne in meinem Mittagssalat von fünfzehn auf zwölf verringern? Gina hatte schon drei Termine für mich in exklusiven Brautmodeläden in München ausgemacht. Termine, die ich wieder abgesagt hatte. Aus Pinguingründen. Ich wollte mich nicht von großstädtischen Verkäuferinnen als außer Fasson geratene Dorfschönheit belächeln lassen. Aber was blieb mir sonst noch übrig? Der Brautmodeladen in der Kreisstadt führte nur Modelle, die Gina als »eher ländlich« bezeichnete, ein in China gefertigtes Kleid aus dem Internet hatte ich zurückgeschickt. Ich hätte Ginas und Quirins kleines Theater nicht unbedingt gebraucht, als wir gemeinsam die Kiste öffneten und das Modell ins Licht hielten.
    »Galantielt Seide, Missis! Mit Olganza!« Quirin verbeugte sich albern vor mir, und Gina hielt erst mir, dann sich selbst das Kleid vor den Körper, schüttelte den Kopf.
    »Galantielt Scheuellappen! Schickst du zulück!«
    Worauf Quirin lächelte, auf diese Art, die ich früher nicht an meinem Cousin gekannt hatte, und ihr ein »Weißt du, kleine Geisha, dass du verdammt süß aussiehst?« zuhauchte. Gefolgt von einem Kuss. Einem längeren. An meiner Bemerkung, eine Geisha sei genauso wenig chinesisch wie Sushi, waren sie nicht weiter interessiert. Gina und Quirin waren, um es gelinde auszudrücken, ziemlich verliebt. Wenn die Arbeit sie trennte, schickte Quirin Gina zärtliche SMS. In Kürzeln, die nur sie verstand. Seit sie mir zwei davon einmal übersetzt hatte, wusste ich, dass bab nichts mit Bundesautobahnen oder einer falsch geschriebenen Kölner Popband zu tun hatte, sondern schlicht Bussi auf Bauchi hieß. Und bei meihebrfüdi handelte es sich nicht um ein schweizerisches Nationalgericht, sondern um die Tatsache, dass Quirins Herz für sie brannte.
    Ich hatte immer geglaubt, Quirin zu kennen. Wir waren zusammen aufgewachsen, hatten miteinander endlose Nachmittage am See verbracht. Wenn Quirin nicht gerade versuchte, Tiere zu retten. Er pflückte liebeskranke Nachtfalter von den Laternen auf dem Uferweg, verbot mir, meinem geliebten Stallhasen zu Ostern eine rosafarbene Schleife umzubinden und sich damit vor seinen Hasenkumpels zu blamieren, und einmal rettete er das Meerschwein seines Klassenkameraden in letzter Minute vor einem unfreiwilligen Fallschirmsprung vom Balkon. Dafür musste er sich nicht nur mit dem Besitzer und Fallschirmkonstrukteur prügeln, sondern auch mit vier schaulustigen Jungen, die gewettet hatten, ob Mucki die Reißleine ziehen würde oder nicht. Vielleicht war dieses Meerschweinchentrauma der Grund dafür, dass Quirin schließlich Tierarzt geworden war. Er arbeitete in der Kreisstadt, gab im Sommer Surfkurse am See und hatte in der Umgebung als cooler Herzensbrecher gegolten. Bis Gina aus Köln hierhergekommen war, um Christiane Breitner beim Verkauf ihres Hauses zu helfen, und ihn quasi über Nacht zu einem Bussi-auf-Bauchi-Simser transformiert hatte. Seit einem Dreivierteljahr wohnten sie zusammen, direkt neben der Tauchschule, mit Floh und zwei ebenso verliebten, dauerschnäbelnden Papageien. Ein Wunder, dass Floh, kastrierter Singlehund, bei all diesem Geturtel und Geschnäbel noch nicht durchgedreht war und die Papageien auf seinen Speiseplan gesetzt hatte. Kruzinesen, konnte ich eigentlich an nichts außer Essen denken?
    »Susn, träumst du? Wir laufen wieder los, gaaanz leicht, gaaanz
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