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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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immer kleiner geworden waren, trug er einen kleinen Ascher mit sich, in dem er die Zigarettenkippe verschwinden ließ. Er kam sich blöd dabei vor. Jahre, ja Jahrzehnte lang hatte er gedankenlos Asche und Zigarettenabfälle um sich herum verstreut, wie die Möwen ihren Kot an der Küste. Neuerdings rauchte er nur noch mit schlechtem Gewissen und fühlte sich schuldig dabei, wenn jemand die Spuren entdeckte.
    So, dachte er, fühlen sich Täter, wenn sie die Spuren am Tatort beseitigen, um nicht überführt zu werden.
    Als er ins Wohnzimmer zurückkam, saß Peter Henning, die Hände immer noch mit Handschellen gefesselt, in einem breiten Ledersessel, während Ann Kathrin vor ihm auf und ab ging. Drei Schritte, eine Kehrtwendung, drei Schritte. Ihr »Verhörgang« gab ihr ein Mindestmaß an Sicherheit.
    »Wissen Sie«, sagte Ann Kathrin, »was mir komisch vorkommt? Wenn Ihre Tochter von der Russenmafia bedroht wurde, wieso haben Sie sich dann nicht bei der Polizei gemeldet, wenn sie die ganze Nacht über nicht zu Hause war? Haben Sie sie überhaupt nicht vermisst? Wenn mein Sohn bedroht werden würde, ich wüsste immer, wo er sich aufhält und … «
    Sie fand jetzt selbst den Vergleich unpassend und schluckte die weiteren Sätze hinunter.
    Er wand sich im Sessel wie ein an Land geworfener Fisch und
versuchte, eine bequemere Haltung einzunehmen. Doch jedes Mal, wenn er sich wieder hinstellen wollte, deutete Ann Kathrin Klaasen ihm mit dem Zeigefinger an, dass er sich wieder setzen sollte. Ihre energische Art machte ihn kleinlaut. Weller gegenüber konnte er voll aufdrehen, doch etwas an der Kommissarin erinnerte ihn an seine Mutter. Gegen die hatte er sich auch nie wirklich zur Wehr setzen können. Es war ihr unwirscher Blick, der ihn innerlich auf Grundschulkindgröße schrumpfen ließ.
    »Ich dachte doch, sie sei in Sicherheit«, jammerte er. »Sie hat es hier nicht mehr ausgehalten. Sie konnte doch ohne Tabletten überhaupt nicht mehr einschlafen. Sie schreckte nachts hoch, schrie vor Angst und … Wir haben sie zu ihrer Freundin Silke gebracht.«
    »Wer ist wir?«
    »Na, der Markus und ich. Also, der Markus ist ihr Freund … Die sind nicht verheiratet, aber die leben zusammen, hier oben über uns.«
    »Wo ist Markus jetzt?«
    Ann Kathrins Frage traf Herrn Henning unvorbereitet. Er sackte in sich zusammen.
    »Er … er ist doch nach Berlin gefahren, um … Er wollte herausfinden, ob die Typen wirklich da wohnen.«
    »Welche Typen?«
    Er stöhnte. »Sie haben echt überhaupt keine Ahnung, was? Sie sind völlig blind. Vielleicht ist es besser, wenn ich meinen Anwalt anrufe, Herrn Hinrichs. Wir müssen Markus retten, nicht dass die den auch noch … «
    Seine Stimme erstarb.
    »Ich werde Ihnen jetzt die Handschellen abnehmen, und dann erzählen Sie der Reihe nach. Und Sie machen keine Mätzchen.«
    Jetzt meldete Weller sich zu Wort. »Ich stehe hier«, sagte er drohend, »und bei der ersten falschen Bewegung, da … «
    »Nein, keine Sorge, ich … ich … Mein Gott, Sie müssen das doch verstehen! Ich wollte Ihnen nichts tun. Ich bin nur im ersten Moment … «
    »Schon gut«, beschwichtigte Ann Kathrin ihn. »Kommissar Weller wird keine Anzeige erstatten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt oder so etwas. Wir vergessen den Vorfall einfach. Aber jetzt reden wir vernünftig miteinander. Wer immer Ihre Tochter umgebracht hat – wir alle haben ein Interesse daran, ihn zu finden.«
    Peter Henning war einverstanden und wirkte, als sei es ihm auch ernst. Doch er wollte zunächst seinen Schwiegersohn in spe anrufen.
    Ann Kathrin war dagegen. »So eine Botschaft überbringt man nicht per Telefon. Wenn Sie ihn jetzt auf dem Handy anrufen und er mit dem Auto unterwegs ist – stellen Sie sich mal vor, was das auslösen kann.«
    »Er … er müsste schon bald wieder hier sein. Er wollte doch nur gucken, ob in der Markgrafenstraße 13 wirklich ein Herr Pjotr Sidorov wohnt.«
    »Und deswegen fährt er nach Berlin?«, fragte Weller ungläubig.
    Peter Henning ballte die rechte Faust. Die Knöchel traten weiß hervor.
    Weller stellte sich so hin, dass er notfalls einen Angriff parieren konnte. Aber Peter Henning schlug mit der Faust nur mehrfach gegen die Sessellehne.
    »Ja klar – wenn Sie uns geholfen hätten, wäre ja alles leichter gewesen!«
    Dann erstickte Peter Hennings Stimme in einem Schwall von Tränen.
    Ann Kathrin kannte das. Manche Menschen wurden, wenn sie die Nachricht vom gewaltsamen Tod eines Angehörigen
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