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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Kathrin hatte nie in ihrem Leben Probleme mit Heuschnupfen gehabt, doch plötzlich bekam sie eine Art Niesanfall, der nicht zu stoppen war. Ihr tat schon alles weh, so heftig war die Niesattacke.
    Da entdeckte Weller etwas in dem Baum, in den die tote nackte Elfe aus den Rhododendronsträuchern zu springen schien. Da oben hing ein Paket. Das Papier lachsrot, mit goldenen Bändern umwickelt.
    Weller schickte einen der jungen Beamten hoch. Er stellte sich beim Klettern so ungeschickt an, dass Weller am liebsten selbst die Äste hochgekraxelt wäre.
    Das Paket war aktenkoffergroß, nicht sehr schwer und verpackt wie ein Weihnachtsgeschenk. Nachdem Abel es genügend von allen Seiten fotografiert hatte, fanden sie darin die Kleidung der Toten. Ordentlich gewaschen, gebügelt und gefaltet. Außerdem ein Portemonnaie mit 43  Euro 21 , eine Kontokarte der Sparkasse Aurich-Norden und einen Personalausweis. Sie hieß Mareike Henning, war 24  Jahre alt und wohnte in Dornumersiel.
    Ann Kathrin Klaasen sah Paul Schraders Reaktion auf den Personalausweis und fragte ihn, eine Pause zwischen ihren Niesanfällen nutzend: »Kennst du die Tote?«
    »O ja.«
    »Dienstlich?«
    Er nickte. »Ja. Und ich fürchte, das wird für uns keine besonders angenehme Situation werden.«
    »Warum? Ich verstehe nicht«, sagte Ann Kathrin Klaasen. Dann nieste sie so heftig, dass Schrader einen Schritt nach hinten machte. Mit rot geplatzten Äderchen in den Augäpfeln fragte Ann Kathrin: »Was stimmt nicht mit ihr?«
    Schrader schluckte, als würde er nach einer Ausrede suchen.
    Ann Kathrin fuhr ihn an: »Du hast die Leiche sofort erkannt, stimmt’s? Deswegen standest du am Eingang herum, als ob dir einer in die Weichteile getreten hätte.«
    Er nickte. »Ja. Aber ich habe gehofft … ich habe einfach gehofft, dass ich mich irre.«
    Ann Kathrin fand, dass Paul Schrader einen jämmerlichen Anblick bot, so als hätte er sich gerade in die Hose gemacht.
    »Was soll das heißen?«, fragte sie.
    »Ich … ich hab das … den Fall nur aufgenommen, aber dann nicht weiter bearbeitet. Sie hat sich bedroht gefühlt … Also, es war so ein kleiner Verkehrsunfall und dann, na ja … «
    »Was denn jetzt? War es ein Verkehrsunfall oder hat sie sich bedroht gefühlt?«
    »Ja, wohl beides. Ich gebe es ja zu – sie ist uns tierisch auf die Nerven gegangen. Ich war froh, die Sache dann los zu sein. Inzwischen lag sie ja auch bei der Staatsanwaltschaft.«
    »Wieso ist sie dir auf die Nerven gegangen?«
    »Sie hat dauernd angerufen, und dann kam ihr Mann und ihr Vater und – ach!« Schrader machte eine Geste, als müsste er lästige Insekten vertreiben.
    Er musste gar nicht mehr sagen. Ann Kathrin ahnte, worauf das alles hinauslief. Mareike Henning war bedroht worden. Sie hatte sich um Hilfe an die Norder Polizei gewendet, und jetzt war sie tot.
    Ann Kathrin Klaasen warf Weller nur einen Blick zu. Der hatte schon sein Handy in der Hand und forderte die Akte bei der Staatsanwaltschaft an.
    Als Staatsanwalt Scherer im kloblauen Anzug am Tatort erschien, waren Ann Kathrin und Weller bereits auf dem Weg nach Dornumersiel, um die Angehörigen des Opfers zu informieren.
     
    Weller zupfte nervös an seinen Barthaaren herum. Er lenkte den Wagen mit einer Hand und kämpfte gegen das ständig schlimmer werdende Gefühl an, jetzt unbedingt eine rauchen zu müssen. Der Gedanke, jetzt gleich einem Vater oder einem Ehemann erklären zu müssen, was mit Mareike Henning passiert war, machte ihn völlig fertig. Es war nicht das erste Mal, dass er Angehörige vom Tod eines geliebten Menschen unterrichten musste. Aber dieser Fall hier war doch etwas Besonderes.
    Er schluckte. »Ann, du willst doch nicht wirklich … ich meine, was sollen wir denen denn erzählen?«
    »Die Wahrheit«, sagte sie. »Was denn sonst?«
    »Das kann ich nicht, Ann.«
    »Vielleicht nicht ganz so drastisch und in allen Einzelheiten.
Aber jemand hat Mareike Henning umgebracht, und es ist unsere Aufgabe herauszufinden, wer und warum. Aus Rücksicht auf das Opfer und die Angehörigen können wir versuchen, Einzelheiten aus der Presse herauszuhalten, und auf jeden Fall werden wir verhindern, dass Fotos veröffentlich werden. Aber wir können uns schlecht um die Fakten drücken.«
    Weller war ein bisschen beleidigt. Sie sprach zu ihm, als ob er ein Neuling wäre. Er spürte, dass es eigentlich seine Aufgabe war, die Nachricht zu überbringen. Er musste aufpassen, in der Beziehung zu Ann Kathrin nicht untergebuttert
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