Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
Seine Worte kamen mit der Energie der Verzweiflung. »Oder warum fotografiere ich nicht einfach so etwas hier? Meinst du, es gibt schon einen Bildband von diesem Park?«
    Abel hatte schon viele Leichen gesehen. Er war eigentlich ein abgebrühter Hund, fand Ann Kathrin. Manchmal sogar zu kalt. Was er fotografiert hatte, musste ihn sehr, sehr erschüttert haben. Er hatte jede professionelle Abgrenzung verloren und war kurz davor, seinen Job hinzuschmeißen. So kannte sie ihn nicht.
    Sie begann, sich innerlich darauf einzustellen, gleich etwas Grauenhaftes zu sehen.
    Zunächst fragte sie Paul Schrader: »Wo ist der Zeuge, der uns angerufen hat?«
    Er saß auf einer Bank vor dem Freundschaftstempel und sah
von dort aus die Insel der Seligen, die Begräbnisstätte der Familie zu Innhausen und Knyphausen.
    »Der ist ZDF -Redakteur«, sagte Schrader und klang wenig begeistert.
    Weller hörte nur ZDF und hakte gleich nach: »Ist die Presse mal wieder vor uns da?«
    »Er hat die Leiche gefunden.«
    Misstrauisch fragte Weller: »Was macht das Fernsehen hier?«
    »Urlaub!«, rief Gunnar Peschke, stand auf und kam zu den Beamten herüber. Sie wunderten sich, dass er ihre Worte verstanden hatte. Er nahm ihre Verunsicherung wahr und lächelte: »Ich bin Musikredakteur. Kinderlieder. Musikboxx zum Beispiel. Gut hinhören ist sozusagen mein Geschäft.«
    Der Mann gefiel Ann Kathrin. Eine imposante Erscheinung. Offensichtlich nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Er musste dasselbe gesehen haben, das Abel so aus der Fassung gebracht hatte. Und er war dabei allein gewesen, nicht umrahmt von Polizeibeamten und Kollegen. Er hatte sie informiert und dann hier gewartet.
    »Sind Sie den Anblick von Leichen gewöhnt?«, fragte Ann Kathrin Klaasen.
    »Nein«, lächelte er. »Dafür bin ich nicht zuständig. Im Kinderfernsehen befassen wir uns nicht mit so etwas. Das machen meine Kollegen vom Abendprogramm. Ich habe mehr mit Piraten zu tun, Hexen und Gespenstern. Sie verstehen … «
    Er erzählte, dass er in Norddeich im Fährhaus wohnte und täglich mit dem Rad zu längeren Touren aufbrach. Heute Morgen war er der erste Gast im Schlosspark Lütetsburg gewesen. Es war nicht mal jemand da, um Geld zu kassieren. Er hatte am Eingang einen Euro eingeworfen. Jetzt fragte er sich, wie jemand in der Lage war, so ein Paradies zu unterhalten mit nur einem Euro Eintrittsgeld.
    Weller spürte einen Stich Eifersucht, weil er merkte, dass dieser Gunnar Peschke seiner Ann Kathrin durchaus gefiel. Das machte ihn umso kritischer: »Warum sind Sie nicht wie die anderen Touristen am Meer? Warum radeln Sie nicht am Deich lang?«
    Milde lächelnd zeigte Gunnar Peschke mit der offenen Hand die Schönheiten der Landschaft, in der sie sich befanden. »Schauen Sie sich um. Braucht man dafür eine Erklärung?«
    Ann Kathrin nickte und sah Weller missbilligend an. Das machte ihn noch wütender auf diesen ZDF -Redakteur.
    »Kennen Sie die Tote?«, fragte Weller.
    »Nein«, antwortete Gunnar Peschke. »Ich glaube nicht. Obwohl … «
    »Obwohl was?«, setzte Weller sofort nach.
    Gunnar Peschke winkte ab. »Ach, schauen Sie doch selbst.«
    »Ihre Personalien haben die Kollegen ja bereits aufgenommen«, stellte Weller fest.
    »Natürlich«, maulte Schrader. »Denkt ihr, wir haben hier Blumen gepflückt?«
    Ann Kathrin Klaasen atmete noch einmal tief durch. Dann sagte sie: »Okay. Sehen wir uns den Tatort an.«
     
    Als Ann Kathrin Klaasen vor der Leiche stand, erschrak sie vor sich selbst. Sie erwischte sich bei dem Gedanken: Mein Gott, wie schön!
    Die Frau sah nicht aus wie eine Tote. Nicht einmal wie eine Frau. Sondern eher wie ein Engel, der zwischen den Blüten hin und her hüpfte und sich in den Zweigen verfangen hatte. Die Füße berührten den Boden nicht. Die Gesetze der Schwerkraft schienen nicht zu existieren, denn sonst hätte dieser Körper doch herunterfallen müssen.
    Ann Kathrin schüttelte sich, um ihre eigene voyeuristische Betrachtungsweise loszuwerden und stattdessen mit den Augen der Kriminalkommissarin zu sehen.
    Die Frau war nackt und offensichtlich am ganzen Körper rasiert worden. Nur das strahlend blonde Kopfhaar hatte der Mörder ihr gelassen. Die glatten Haare umgaben ihr Gesicht wie ein Heiligenschein.
    Wer immer das war, dachte Ann Kathrin, er hat sich Zeit genommen, um die Leiche zu frisieren. Wieso hatte der Wind diese Arbeit nicht längst zunichte gemacht?
    Es gefiel ihr nicht, wie die zwei jungen Polizisten aus Norden mit ihren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher