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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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vierzehn Tagen, oder was?«
    Er lachte. »So ähnlich. Zunächst muss ich mein Werk vollenden, und du hast die Ehre, mir dabei zu helfen.«
    Er stieß sie vorwärts in den nächsten Raum. Auch hier nur Vorhänge und Bilder. Aber in einer Ecke, wie als Reminiszenz an die Fettecke von Joseph Beuys, Sand. Gut zwei Zentner, aufgehäuft und glattgestrichen. Sand aus Norderney von der Weißen Düne.
    Dann das Bild, genauso groß wie das vorherige. Verena Glück, wie sie aus dem Sand emporzusteigen schien, als sei sie aus dem Inneren der Erde hochgekommen. Ihre Haare verwickelt in den Sanddornbusch.
    Das Bild umgeben von Skizzen. Er musste das alles lange, lange vorher geplant haben. Wie um Erklärungsansätze für sein Werk bemüht, waren sie mit Datumsangaben und Nummerierungen versehen.
    Er hielt immer noch die Waffe auf sie gerichtet, aber sie registrierte, dass seine Aufmerksamkeit schwankte. Der Lauf war nicht immer und in jeder Sekunde voll gegen ihren Körper gerichtet. Wenn er jetzt schießt, dachte sie, knallt die Kugel in den Parkettboden. Aber er würde nur den Bruchteil einer Sekunde benötigen, um die Pistole gegen sie zu richten. Schon tat er es.
    Ich brauche nur eine Chance, dachte sie. Nur eine. Eine winzige Unachtsamkeit von ihm. Den ersten Tritt wollte sie gegen die Waffe ausführen, den zweiten gegen seinen Kehlkopf. Immerhin wurde sie nicht von lästigen Kleidungsstücken behindert. Sie begann, ihre Nacktheit als Vorteil zu sehen. Dennoch hätte sie alles darum gegeben, sich anziehen zu können.
    »Wie geht es dir, wenn du das siehst?«, fragte er.
    »Ich empfinde Mitleid«, sagte sie, »mit dem kranken Hirn, das sich solche Dinge ausdenkt und glaubt, unter dem Zwang zu stehen, sie verwirklichen zu müssen.«
    Er gab ihr eine schallende Ohrfeige. »Was bist du nur für ein dummer Mensch«, spottete er. »Merkst du gar nicht, dass du teilhast an etwas Erhabenem?«
    »Die Leute, die das sehen«, sagte sie, »werden nicht vor Ehrfurcht auf die Knie fallen.«
    »O doch, das werden sie. Die Kunstgeschichte wird umgeschrieben werden. Am Ende dieses Jahrhunderts wird es keinen bedeutenderen Maler gegeben haben als mich.«
    Er glaubt das wirklich, dachte sie.
    »Du bist es gar nicht wert, dir das anzuschauen. Andere würden ihren Arm dafür geben, das hier sehen zu können. Wenn mein Werk vollendet ist, wird dies hier das bekannteste Museum Europas werden.«
    »Wo sind wir denn überhaupt?«, fragte sie.
    »In Dornumersiel.«
    Sie lachte. »Na klar. Das wird das berühmteste Museum der Welt. So wird man es einst nennen. Er hatte Ausstellungen in London, Tokio, Paris und Dornumersiel. Oh. Verzeihung. Dornumersiel gehört natürlich an die erste Stelle.«
    Ja, komm, schlag mich, dachte sie. Gib mir noch eine Ohrfeige. Komm nah genug ran. Beim ersten Mal hast du mich überrascht. Jetzt bin ich gewappnet.
    »Die Tourismusbranche wird mir dankbar sein. Hunderttausende
werden kommen, um meine Bilder zu sehen. Hotels werden entstehen. Die Restaurants werden profitieren … «
    Sie versuchte, ihn zu provozieren. »Ich fürchte, leider wird aus dieser ganzen Geschichte sowieso nichts werden. Das mit dem Museum kannst du vergessen. Das war einfach nicht durchdacht.«
    »Wie meinst du das – nicht durchdacht? Ich habe es selbst erschaffen. Die Ausstellung ist ganz so, wie ich sie mir vorstelle. Kein akademischer Ausstellungsmacher pfuscht da rein. Alles muss genau so sein, wie ich es mir vorgestellt habe. Hier stimmt alles. Die Lichtverhältnisse und … «
    »Aber das interessiert doch alles überhaupt keinen. Deine Kunstwerke werden in der Asservatenkammer landen.«
    Er erstarrte, denn er erkannte augenblicklich, dass an dem, was sie sagte, etwas dran sein konnte. Geradezu genüsslich führte sie es aus: »Die Dinger werden niemals freigegeben. Wenn wir Kokain beschlagnahmen, kommt das danach auch nicht auf den Markt und wird verkauft. Das gehört zu all dem Mist, mit dem Taten gerichtsverwertbar dokumentiert werden können. Deine Bilder und Skizzen werden neben Baseballschlägern, gefälschten Schecks, gestohlenen Armeewaffen und beschlagnahmten Butterflymessern ein tristes Leben führen. Ich wette, man wird sie als Erstes zusammenrollen. Wir haben gar nicht so viel Platz für so monströse Dinge.«
    »Das kann man doch nicht machen!«, brüllte er.
    »Tja«, sagte sie, »ich glaube schon, dass dich das nervt, aber genau so wird es passieren.«
    »Aber die Bilder gehören mir! Eigentum steht unter dem besonderem
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