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Ostfriesengrab

Ostfriesengrab

Titel: Ostfriesengrab
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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noch gefesselt, ihre Beine gespreizt. Sie begann, sich die Fesseln an den Fußgelenken selbst zu lösen, war dabei aber lange nicht so geschickt wie er. Sie kannte sich mit diesen Seemannsknoten nicht aus.
    Er ließ sie gewähren, hielt aber die Pistole weiter auf sie gerichtet.
Als sie beide Beinfesseln gelöst hatte, glitt sie von der Liege und stand aufrecht vor ihm. Sie suchte nach etwas, um sich zu bekleiden. Sie war kurz davor, das Wachstuch von der Liege zu ziehen, aber er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, bleib so. Dreh dich um, die Hände auf den Rücken.«
    Sie tat wie ihr befohlen und wartete auf eine neue, günstige Situation. Immerhin war sie jetzt schon viel weiter als vorher. Sie lag nicht mehr angebunden, sie stand. Ihre Beine waren frei.
    Er knotete ihre Hände auf dem Rücken extrem fest zusammen. Dann stieß er sie mit dem Lauf seiner Waffe vorwärts durch die Tür in den Raum hinter der Glasscheibe.
    Es war tatsächlich ein Tonstudio. Zwei Computer, ein Mischpult mit zwei Dutzend Knöpfen und Reglern.
    »Probt hier manchmal eine Band?«, fragte sie.
    Er lachte. »Dieses Haus gehörte mal Roswitha Keller und ihrem schrecklich dummen Mann, der bezeichnenderweise August hieß. Er war Arrangeur und hat sein Geld damit verdient, hier Volksmusiken abzumischen und irgendwelchen Schlagerkitsch.«
    Hoffnung keimte in ihr auf. Wenn das Haus anderen Leuten gehörte, könnten sie ja vielleicht zurückkommen.
    Als würde er ahnen, was sie dachte, und als ob er ihr auch den letzten Funken Hoffnung nehmen wollte, fuhr er fort: »Sie ist leider vor drei Jahren gestorben. Ein halbes Jahr nach der Scheidung. Endlich war sie frei. Er hatte ihr das Haus überlassen müssen und einen Teil des Vermögens. Sie hat mich als Erben eingesetzt.«
    »Müsste ich die großzügige Erbtante kennen?«, fragte Ann Kathrin.
    »Du hast ihr Bild gesehen. Es gefiel dir.«
    Scheiße, dachte Ann Kathrin. Scheiße. Er ist nicht der arme Maler, der von Kursen an der Volkshochschule und Wochenendseminaren mit Hobbykünstlern leben muss. Er hat es gar nicht
nötig, seine Werke zu verkaufen. Er besitzt dieses Haus und das Geld von Roswitha Keller. Von hier aus hat er seine Aktionen ausgeführt. Wir haben Ermittlungsfehler gemacht. Wir hätten im Grundbuch nachsehen müssen. Natürlich, dieses Haus ist garantiert auf seinen Namen im Grundbuch eingetragen. Aber weil Frank ihn gut kannte und wusste, wo er wohnt, hat sich niemand die Mühe gemacht, nach weiteren Häusern zu suchen. Wir hatten das an der Norddeicher Straße und das Haus von seiner Mutter … Die SOKO war beim richtigen Mann, aber im falschen Haus.
    Vielleicht hatte er dieses Gebäude nicht mal als Zweitwohnsitz gemeldet. Warum auch? Aber selbst wenn, das Einwohnermeldeamt hatten sie auch nicht bemüht.
    Vor Wut traten ihr Tränen in die Augen.
    Er führte sie über die Kellertreppe nach oben. Es war ein modern gebautes Haus mit großen, hellen Räumen. Leichte gelbe Vorhänge vor den Fenstern schützten vor fremden Blicken, ließen aber das Sonnenlicht golden hereinscheinen.
    An den Wänden hingen Bilder. Seine Bilder.
    Mareike Henning als fliegende Elfe in den Rhododendronund Azaleensträuchern im Schlosspark Lütetsburg. Das Bild wirkte wie ein Schock auf Ann Kathrin, so schön war es. Die Elfe schien lebendig, ja fröhlich. Sie hatte nichts vom Tod an sich, eher etwas von Unsterblichkeit.
    »Ich habe die Farben mit ihrem Blut gemischt«, sagte er, und es klang wie ein Triumph. »So ist sie vollständig zum Kunstwerk geworden. Sie ist das Objekt und gleichzeitig Bestandteil des Bildes.«
    Das Bild reichte vom Boden fast bis zur Decke und war breiter als die Tür. Trotz ihrer misslichen Lage fragte Ann Kathrin sich, wie er das Bild hier überhaupt hereinbekommen hatte. Vermutlich hatte er es hier gemalt.
    Der Rest der Wand war mit seinen Skizzen garniert. Vorbereitungen
für das Projekt. Da konnte man alles sehen. Die Stangen. Die Planung, wo die Stangen im Körper sitzen sollten. Die Farben der Blüten. Das Ganze war nicht einfach so an die Wand gepinnt und hingestellt, sondern sorgfältig eingerahmt, nummeriert, mit Erklärungen und Unterschriften versehen, in eine Reihenfolge gebracht. Es war vorbereitet für … eine Ausstellung. Es gab keine Möbel im Raum, nur Vorhänge und Bilder.
    Er sah sie gespannt an. Er wartete auf eine Reaktion von ihr. Sie war jetzt so etwas wie sein Probepublikum.
    »Wie darf ich mir das vorstellen?«, fragte sie. »Ausstellungseröffnung in
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