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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition)
Autoren: Lavie Tidhar
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Kreditkarte, untersuchte sie und legte sie wieder hin. Wie sollte er sie überhaupt verwenden? Hier schien etwas vorne und hinten nicht zu stimmen. Erneut nahm er das Buch und blätterte auf die Copyright-Seite. Der Verlag hieß Medusa Press. Er hatte eine Pariser Adresse. Der Urheberrechtsvermerk galt Medusa Press. Mike Longshott wurde nicht erwähnt. Es war sowieso unwahrscheinlich, dass es sich dabei um den richtigen Namen des Mannes handelte. Niemand konnte allen Ernstes Mike Longshott heißen. Joe stand auf, ging zum Bücherregal und überflog die Buchrücken. Er besaß zwei weitere Bücher aus der Reihe Osama bin Laden: Vergelter , die er jetzt aus dem Regal zog und mit zurück an seinen Schreibtisch nahm. Ein Blick auf die Copyright-Seiten zeigte ihm, dass sie identisch waren. Medusa Press, Paris, und die Adresse war lediglich ein Postfach, keine Straße. Er zündete sich noch eine Zigarette an, fragte sich, warum das so war und wie er es anstellen sollte, mehr herauszufinden, und dann kam von unten ein lautes Krachen, jemand fluchte wortreich auf Englisch, und Joe lächelte. Offensichtlich war Alfred aufgetaucht und gerade dabei, seinen Buchladen aufzuschließen.
    Joe stand auf, steckte sich dabei die schwarze Kreditkarte in die Tasche und ging nach unten. Es gab eine Verbindungstür in den Buchladen, die er benutzte. Beim Eintreten fiel ihm der nachhaltige Geruch von Opium in der Luft auf. Manchmal, wenn er kam, roch es süß; manchmal roch es nach verbranntem Laub; und wenn Alfred gezwungen war, sich zu dem anhaltenden Geruch zu äußern, der seinem alternden Körper so inniglich anhaftete, pflegte er den Maler Picasso zu zitieren, den er angeblich früher gekannt hatte, und nannte diesen Geruch den am wenigsten dummen auf der Welt. Wonach er auch roch, welche Worte auch benutzt wurden, um ihn zu beschreiben, er war immer da, in Alfreds Kleidung, in seinem weiß melierten schwarzen Bart und in den Büchern selbst, die, aufgeschlagen, einen Hauch dieses Geruchs aus ihren Seiten verströmten. »Du Nichtsnutz, Mistkerl«, sagte Alfred. »Oh, hi Joe.« Joe lächelte und winkte ihm mit der Hand, die die Zigarette hielt. Alfred wandte sich wieder May zu. »Geh mir aus den Augen, May. Ich will dich nie wiedersehen. Geh!«
    »Hi Joe«, sagte May, worauf Joe lächelte und erneut winkte. Zwischen zwei hohen Bücherregalen war ein Stuhl eingezwängt, auf den er sich setzte. »Du rauchst zu viel, alter Freund. Jede Nacht brauchst du mehr. Bald wirst du gar nichts anderes mehr tun als rauchen.«
    May war auffallend hübsch. Sie hatte lange schwarze Haare und feine Gesichtszüge, und obwohl sie, soweit Joe wusste, die Operation unten nie hatte machen lassen, besaß sie dank ihrer regelmäßigen Östrogendosis kleine, feste Brüste, die sie in ihrem engen roten Top stolz zur Schau trug. Sie war Kathoey und seit langem Alfreds Freundin.
    »Unsinn«, sagte Alfred. »Ich habe einen absolut gesunden Umgang mit Opium. Seit Jahren schon. Fabelhafte Pflanze.«
    »Macht dich langsam.«
    »Macht mich stark!«, rief Alfred. »Stark wie einen Ochsen!« Dabei bewegte er in einer unmissverständlichen anzüglichen Geste die Faust, worauf er und May in schallendes Gelächter ausbrachen. »Ich würde dir eine Menge Babys machen, wenn du nicht ein halber Mann wärst«, sagte Alfred traurig, als sie sich wieder beruhigt hatten.
    »Ich bin vielleicht ein halber Mann, aber ich bin ganz Frau«, sagte May. Joe wusste, dass sie es, was das Rauchen anging, durchaus mit ihrem Freund aufnehmen konnte.
    Alfred nickte seufzend. »Wohl wahr«, sagte er.
    »Ich liebe dich«, sagte May.
    »Ich liebe dich auch, Süße. Jetzt geh und lass diesen alten Mann seinen Geschäften nachgehen.«
    May warf ihm eine Kusshand zu, winkte Joe und verschwand nach draußen in die Sonne. Wieder seufzte Alfred und wandte sich Joe zu. »Verrücktes Mädchen«, sagte er. »Und wenn ich nicht rauchen würde? Dann würde ich dich vielleicht nicht mal sehen.«
    Joe wusste nicht genau, wie er das verstehen sollte, und ging nicht weiter darauf ein. Bei Alfred durfte man auf einiges nicht weiter eingehen. »Willst du einen Kaffee?«, fragte Alfred.
    »Klar.«
    Alfred stand auf und begab sich zu der kleinen elektrischen Einzelkochplatte, die auf einem niedrigen Tisch neben der offenen Tür stand. Er löffelte Kaffeepulver in einen bereits mit Wasser gefüllten langstieligen Topf und drehte den Schalter. Die elektrische Heizspirale begann zu glühen.
    Alfred war ein großer Mann,
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