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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub
Autoren: Tanja Pleva
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starken Erschütterung, ließ Sam augenblicklich die Augen aufschlagen. Der kleine Bildschirm vor ihm verriet ihm, dass sie nicht mehr über Land flogen, sondern sich bereits über den Tiefen des dunklen Ozeans befanden. Er wagte einen Blick durch das kleine rundliche Fenster. Dicke Wolkenfetzen verdunkelten gelegentlich die kleinen Lichter an der Tragfläche, die seines Erachtens bedenklich wackelten. Die Air France sackte ab und Sam hatte das Gefühl, dass sein Magen direkt unter der Kehle hing. Ein allgemeines Aufstöhnen ging durch die Reihen der Passagiere.
    Sam griff nach der dritten Rolle Mentos in seiner Tasche und stopfte sich gleich drei auf einmal in den Mund. Bleib ruhig, sagte er zu sich selbst. Auch wenn extreme Wetterbedingungen die häufigste Ursache von Flugzeugabstürzen sind, wird nicht gerade jetzt, hier, heute ausgerechnet dieses Flugzeug, in dem du sitzt, abstürzen. Wieder fiel die Maschine ab.
    Juri hatte bisher friedlich neben ihm geschlafen. Jetzt machte auch er die Augen auf und sah sich verstört um.
    Eine Stewardess kam wankend durch den Gang und überprüfte, ob die Passagiere angeschnallt waren. Diejenigen, die es sich liegend bequem gemacht hatten, wurden aufgefordert, sich hinzusetzen. Kein gutes Zeichen, dachte Sam.
    Helle Lichter, wie Wetterleuchten, waren wieder durch die dichten grauen Wolken zu sehen. Blitze, durchfuhr es Sam. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Wo war die Stewardess? Niemand war mehr zu sehen. Wieder schien die Maschine ein paar hundert Meter abzusacken. Schreie, Weinen, vor ihm übergab sich jemand. Sam hoffte inständig, dass derjenige eine Tüte hatte, sonst würde der Geruch von Erbrochenem gleich in seine Nase dringen und dann konnte er für nichts mehr garantieren.
    Juri hatte seine Augen wieder geschlossen, sein Gesichtsausdruck war entspannt, obwohl sein Kopf bei jeder Erschütterung leicht hin und her wackelte. Wie konnte sein Partner nur so ruhig sein.
    Sam schnallte sich ab, erhob sich aus seinem Sitz und wankte Richtung Cockpit. Eine Stewardess stellte sich ihm in den Weg und forderte ihn auf, sich sofort wieder zu setzen, als die Sauerstoffmasken plötzlich aus ihren Halterungen fielen. Die nächste Erschütterung war so heftig, dass es ihn und die Flugbegleiterin von den Füßen riss. Ein neues Geräusch war hinzugekommen. Er hob den Kopf und sah das Wasser durch sämtliche Ritzen des Rumpfes plätschern. Die kleinen Wasserquellen wurden zu reißenden Wasserfällen und füllten den Innenraum wie ein leeres Wasserglas. Ich bin ein guter Schwimmer, dachte er, als die Kälte des Wassers ihn umschloss. Schwimm, schwimm, Sam. Alles wird gut. Zum Glück konnte er ja wieder sehen.
    Sam öffnete die Augen, alles war still und dunkel um ihn herum, orientierungslos versuchte er, seine Umgebung zu erkennen. Umrisse einer Tür, eines Schrankes wurden deutlicher. Erleichtert bemerkte er, dass er sich in seinem eigenen Bett in seiner Wohnung in München befand. Er musste sich während des Schlafes aufgedeckt haben. Er war schweißnass und sein Körper eiskalt. Neben ihm im Bett war eine Erhebung auszumachen. Er tätschelte über den blonden Kopf, um sich zu vergewissern, dass er wirklich wach war.
    „Hey, werd mir ja nicht schwul, Junge“, sagte Juri mit verschlafener Stimme und drehte sich zu Sam um.
    „Was machst du in meinem Bett?“
    Sam hatte sich aufgesetzt. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und alles war jetzt klar und deutlich zu erkennen.
    „Hatte heute Nacht Albträume und wollte nicht allein sein.“
    Sam erinnerte sich und plötzlich schien alles wie ein einziger Albtraum zu sein. Kolumbien, das Erlebnis, knapp dem Tod entgangen zu sein, seine vorübergehende Blindheit, der ewig dauernde Flug zurück in die Heimat.
    „Okay kneif mich mal.“
    „Es war alles kein Traum, Sam.“ Juri war aufgestanden, schlich in zerknitterter Unterhose um das Bett herum und steuerte auf das verdunkelte Fenster zu. „Aber wenn ich ehrlich bin, kommt mir auch alles so vor.“
    Das grelle Tageslicht, das plötzlich den Raum durchflutete, ließ beide die Augen zusammenkneifen. Sam erhob sich langsam und blieb gebeugt auf der Bettkante sitzen, als sein Blick auf das kleine Schmuckstück auf seinem Nachttisch fiel.
    „Ich geh mal und mach dir einen Kaffee und mir einen Kakao“, sagte Juri und trottete in die Küche.
    Sam griff nach dem kleinen goldenen Tumi, der für Glück, Gesundheit und ein langes Leben stand, legte ihn in seine Handinnenfläche
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