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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub
Autoren: Tanja Pleva
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und betrachtete eingehend den Smaragd in seiner Mitte. Es ist der Stein der Hoffnung, hatte Lea ihm gesagt und ihm zum Abschied das Schmuckstück in die Hand gedrückt. Hoffnung war ein Lebenselixier, das jeden Menschen täglich antrieb und ihn eine Zukunft sehen ließ.
    In ihren hübschen katzenartigen Augen hatte er gesehen, dass sie hoffte, ihn bald wiederzusehen und wenn er tief in sein Herz schaute, war auch er nicht gerade abgeneigt, sich auf die kleine Person einzulassen.
    Er hörte die schnarrende Kaffeemaschine und ein Fluchen aus der Küche. Wahrscheinlich brauchte das Gerät neues Wasser, der Trester musste geleert werden und zu guter Letzt fehlten noch die Bohnen. Sam musste lachen. „Sag mal, Juri, wie lange hast du noch Urlaub?“, rief er durch die Wohnung, während er ins Bad ging.
    „Zwei, drei Wochen. Warum?“
    „Nur so.“
    „Du fragst nie etwas ohne Grund, Sam. Also raus damit, was hast du vor?“
    Sam stellte die Dusche an und ließ das warme Wasser über seine müden Knochen fließen. Wie gut Juri ihn doch kannte.
     
     

67.
     
     
     
    KOLUMBIEN   Von Leas kleiner heiler Welt, in der sie fünfunddreißig Jahre ruhig – wenn man von den Entführungsdrohungen vor fünfzehn Jahren gegenüber ihrer Familie absah - gelebt hatte, war nichts mehr übrig. Wie bei einem Erdrutsch, der alles mit sich riss, war auch ihr der Boden unter den Füßen weggerissen worden. Sie gab sich selbst die Schuld an allem. Denn hätte sie nicht in Rafaels Leben herumgeschnüffelt, wäre vielleicht einiges anders gelaufen.
    Sie blickte auf den kleinen goldenen Diamantring zwischen ihren Fingern, den Verlobungsring von Rafaels erster Freundin. Erst wollte Sam ihr die Geschichte ersparen, doch sie hatte darauf bestanden, jede Einzelheit zu hören. Dass Rafaels eigentliches Geheimnis ein Sohn war, von dessen Existenz er nicht einmal selbst etwas wusste, war für Lea ein Riesenschock gewesen und sie hatte stundenlang geweint, weil sie noch das unschuldige hübsche Kind vor Augen sah, das mit ihr im Garten Ball gespielt hatte. Was war nur in der Zwischenzeit mit dieser Seele geschehen, dass daraus ein Monster geworden war wie ihr Bruder und ihr eigener Vater, der hoffentlich für seine Taten in der Hölle schmorte. Drei eiskalte Mörder in ihrer Familie. Drei genetische Verbindungen.
    Ihre Mutter verlor kein Sterbenswort darüber und sie fragte sich, ob sie tatsächlich von alledem nichts gewusst hatte, oder ob sie sehr wohl im Bilde darüber gewesen war und einfach nur den bequemeren Weg des Schweigens wählte. Lea würde es nie erfahren.
    Ihre Mutter saß wie jeden Mittag am Esstisch, hielt ihr Kreuz fest in der einen Hand und ignorierte die Geschehnisse um sie herum: Felipe, der zitternd die Gabel zum Mund führte und dem der Rotz wie Wasser aus der Nase lief, Maria, die stotternd irgendeine Geschichte erzählte und sie nach fünf Minuten wieder von vorne begann und Victoria, die gebeutelt von ihrem nichtsnutzigen Dasein griesgrämig in ihre Suppe starrte.
    Am Ende der Tafel stand der leere Rollstuhl ihres Vaters und Lea hatte das Gefühl, dass er dort saß und sie mit seinen eiskalten Augen ansah.
    All dies wäre für Lea der Untergang der Welt, wenn sie nicht über beide Ohren verliebt wäre. Sam O’ Connor war der lebensrettende Anker für sie und sie hoffte, wünschte sich von ganzem Herzen, dass sie ihn bald wiedersehen könnte. Für ihn würde sie sogar Kolumbien verlassen und irgendwo ein neues Leben anfangen. Er befand sich zwar noch in einem Heilungsprozess, wie er sagte, aber vielleicht war er ja bald bereit, sich auf sie einzulassen.
    Ihr Handy gab einen Piepton von sich. Alle am Tisch sahen zu ihr hinüber, während sie die Nachricht aus dem Ausland las und lächelte.
     
     

68.
     
     
     
    Der knieende Engel aus Carrara Marmor sah trauernd auf das gut gepflegte Grab hinab, auf das Sam ein Herz aus weißen Rosen gelegt hatte. Eine ganze Weile stand er da und las die eingravierten Zeilen auf dem Stein.
     
    Steht nicht an meinem Grab und weint,
    ich bin nicht da,
    nein ich schlafe nicht.
    Ich bin eine der tausend wogenden Wellen des Sees,
    ich bin das diamantene Glitzern des Schnees,
    wenn ihr erwacht in der Stille am Morgen,
    dann bin ich für euch verborgen,
    in bin ein Vogel im Flug,
    leise wie ein Luftzug.
    Ich bin das sanfte Licht der Sterne in der Nacht.
     
    Sam sah sich um und lächelte. Seine Umgebung hatte wieder Farben angenommen. Das ständige Grau, das ihn noch vor ein paar Monaten
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