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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub
Autoren: Tanja Pleva
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kleinen Jungen gewesen, hatte ihre Mutter gesagt. Wahrscheinlich hatte ihr gerade das, das Leben gerettet.
    Sam blieb noch eine Stunde an ihrem Bett sitzen und betrachtete Leas feine Gesichtszüge. Ihre Wangen waren wieder rosiger und ihre Lippen nicht mehr so spröde und ausgetrocknet. In ein paar Tagen würde man sie entlassen und dann? Sam holte ein Foto von Lina aus seiner Brusttasche und strich mit dem Finger darüber. Ein Kapitel war beendet, ein neues begann.
     
    Die Fahndung nach Nevio Betancourt, Aleidas siebenundzwanzig Jahre alten Ziehneffen, war im vollen Gange, ein Grund für Sam und Juri den baldigen, hoffentlich erfolgreichen Abschluss ihrer Reise zu feiern. Es war Wochenende und im Parque LLerras war der Teufel los. In den kleinen Straßen reihten sich ein Restaurant und eine Bar an die andere. Überall saßen Menschen auf Bordsteinen und Mauern um den kleinen Park in der Mitte herum und feierten ausgelassen.
    Sam hatte noch nie so viele hübsche Frauen auf einen Haufen gesehen und Juri gingen die Augen über. Schließlich entschieden sie sich für eine Bar mit einer großen Veranda, von der man einen Blick auf den ganzen Park genoss. Er bestellte sich einen Whiskey auf Eis und Juri einen Rum. Seit Langem hatte er nicht mehr das Gefühl der inneren Zufriedenheit und des Friedens in sich gespürt. „Du siehst aus wie eine Katze auf Mäusejagd“, kommentierte Sam den unruhigen Blick von Juri.
    „Du musst zugeben, das ist ein Schlaraffenland für jeden Single. Oh Mann, ich flipp echt aus. Schau mal die da drüben … “ Juri zeigte auf eine schlanke junge Frau, die ihre Haare offen bis über die Hüfte trug. „Ich geb’s ja ungern zu, aber am liebsten hätte ich sie alle.“
    „Ich glaube, du brauchst ernsthaft eine Therapie, Kleiner.“ Sam schmunzelte und verschwand auf die Toilette. Als er zurückkam, war Juri weg. Er entdeckte ihn mit zwei Mädchen auf der anderen Straßenseite, gestikulierend und irgendwelche Faxen machend. Sam setzte sich wieder auf seinen Platz, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas und ließ den Whiskey langsam und genüsslich die Kehle runterlaufen.
    Wenn sie Nevio endlich fassten, war der Fall erledigt und er ein freier Mann. Frei! Das Wort Freiheit würde plötzlich eine ganz andere Bedeutung bekommen. Schule, Studium, Beruf, er war immer an irgendetwas gebunden gewesen. Er würde eine Weltreise machen und auf dem Fleckchen Erde, wo er sich am wohlsten fühlte, wollte er sich niederlassen. Für eine Weile.
    Sein Blick schweifte über den Park, in dem Künstler ihre bunten Bilder zwischen den Bäumen ausgestellt hatten und auf ausländische Kunden warteten, als plötzlich jemand neben ihm sagte: „Entschuldigung Señor, darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen.“
    Bevor Sam antworten konnte, saß der junge Mann schon auf Juris Platz und lächelte ihn an. „Darf ich mich vorstellen? Ich glaube ich bin der, nach dem Sie suchen. Nevio Betancourt.“
    Sam konnte seine Überraschung nicht verbergen. Er sah sich unauffällig nach Juri um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken.
    „Ihr Partner ist schwer beschäftigt“, sagte Nevio mit einem Grinsen im Gesicht und spielte mit Juris halb vollem Glas.
    „Sie sind ja ganz schön mutig.“
    „Weil ich mich hier zu Ihnen setze und Ihnen meine Seite der Geschichte erzählen möchte?“
    „Ich kenne Ihre Geschichte.“
    „Ach ja?“
    „Aber tun Sie sich keinen Zwang an.“
    „Haben Sie wirklich geglaubt, Sie kommen hierher nach Medellin und können mich einfach so verhaften?“
    „Sie haben ein paar Menschen ermordet, und das in meinem Revier.“
    „Sie haben nichts gegen mich in der Hand“, sagte Nevio selbstsicher.
    Sam sah in die eisblauen Augen seines Gegenübers und wusste mit einem Mal, dass der Kerl, der so frech vor ihm saß, Recht hatte. Es gab keine Spuren und keine Beweise.
    Nevio lächelte wieder. Es war das Lächeln eines Überlegenen, eines Gewinners. Er beugte sich zu Sam hinüber und sagte leise: „Ich sag Ihnen was im Vertrauen. Die Gedichte tragen nicht meine Handschrift und es ist nicht mein Blut, mit dem sie geschrieben wurden, aber das wissen Sie ja sicherlich schon. Sie haben keine Fingerabdrücke, keine DNA, keine Zeugen. Und wenn es jemand gäbe, der mich angeblich gesehen hätte …“, er lachte und zeigte ein strahlend weißes Gebiss, „Könnte ich das abstreiten, denn ich bin eigentlich gar nicht in Deutschland gewesen. Als Kolumbianer brauchen Sie die Einverständniserklärung,
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