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Opernball

Opernball

Titel: Opernball
Autoren: Josef Haslinger
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auf den Küchenboden. Dabei fiel mir auf, daß in die gegenüberliegende Wand der Zisterne Eisensprossen eingemauert waren. Ich setzte Kartoffeln auf. Während sie kochten, mußte ich in der Küche bleiben.
    Einmal fragte er: »Wohin können Sie mich bringen?«
    »Vielleicht nach Argentinien.«
    »Wie wollen Sie das anstellen?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aber es wird sich ein Weg finden.«
    »Was wollen Sie dafür?«
    »Die Wahrheit.«
    Dann schwieg er wieder. Als die Kartoffeln gekocht waren, war es schon ziemlich dunkel. Ich durfte die Küche nicht verlassen. Er sagte: »In fünf Minuten ist Nachtruhe.«
    Ich schälte zwei Kartoffeln und aß sie. Dazu trank ich Zisternenwasser. Ich fragte: »Gibt es Salz?«
    Er gab mir keine Antwort. Kaum war ich mit der zweiten Kartoffel fertig, sagte er: »Und jetzt in die Zisterne.«
    Er zielte wieder mit der Pistole auf mich.
    »Ich werde nicht davonlaufen. Sperren Sie mich sonst irgendwo ein. Bitte nicht in die Zisterne.«
    Er schrie mich an: »In die Zisterne!«
    Seine Waffe zielte auf meinen Kopf. Ich öffnete die Tür. Ich tastete nach dem Strick und dann nach den kalten, eisernen Sprossen. Dann kroch ich in die Kälte hinein. Er schloß sofort die Tür und verriegelte sie. Ich dachte mir, das sei nun mein Ende.
    Von unten stieg die Kälte herauf. Ich hörte den Ingenieur draußen gehen. Eine Zeitlang war es ruhig, dann ging er wieder. Zwischendurch klapperte Geschirr.
    Vom Stehen auf den Sprossen taten mir bald Hände und Füße weh. Auch fröstelte mich. Ich tastete die Wand ab. Mein Feuerzeug hatte ich in der Küche liegen lassen. Ich durchsuchte meine Taschen, aber ich fand nichts, das mir weiterhalf. Bei der Eisentür gab es ein kleines Gesimse. Ich zog die Schuhe aus und stellte sie darauf. Dann stopfte ich die Socken in die Schuhe und kletterte die Sprossen hinab. Einen Fuß streckte ich voran, um das Wasser zu spüren. Die Zisterne war unten viel breiter als oben. Die Mauer war glatt. Es gab keinen Vorsprung, nichts, worauf ich mich hätte setzen können. Hinter mir baumelte nur noch der Strick. Sonst konnte ich nichts ertasten. Unten war kaltes Wasser.
    Ich kletterte wieder hinauf und zog Socken und Schuhe an. Dann setzte ich mich auf das Gesimse, auf dem ich sie abgelegt hatte. Die Beine streckte ich zu den Eisensprossen an der gegenüberliegenden Mauer, den Rücken drückte ich gegen die Eisentür. Ich strengte mich mit aller Kraft an, aber sie gab nicht nach. Im Haus war nichts mehr zu hören. Ich rieb mit den Händen meinen Oberkörper. Später band ich den Strick zu Schleifen, die ich über meine Beine schob und am Haken befestigte. So konnte ich, für den Fall, daß ich einschlafen sollte, nicht abstürzen.
    Ich konnte nicht schlafen, dazu war es viel zu kalt. Aber ich döste zwischendurch. Dann rieb ich mir wieder den Körper ab. Ich würde die Nacht überstehen. Da ich keine Geräusche hörte, wurde ich von der Vorstellung gequält, der Ingenieur könnte geflüchtet sein.
    Später hörte ich wieder Geräusche. Sie kamen von oberhalb der Küche, dann vom Wohnzimmer. Der Ingenieur schien irgendwelche Dinge herumzutragen. Mehrmals ging er auf die Empore hinauf. Als er wieder im Wohnzimmer, vermutlich beim Eßtisch war, meinte ich, ihn in Büchern blättern zu hören. Er kam in die Küche und stellte Wasser auf den Herd. Später goß er vermutlich Tee auf. Dann machte er sich hinter mir an der Eisentür zu schaffen. Sie sprang auf.
    »Los raus! Jetzt wird gearbeitet.«
    Er war zurückgetreten und fuchtelte mit der Pistole herum. Er wirkte voller Energie. Es war noch nicht richtig hell, als ich aus meinem Loch kroch. Mir taten die Glieder weh. Die Stricke hatten sich ins Bein eingeschnürt. Der Ingenieur ging zum Eßtisch und hielt mich in Schach. Ich trank eine Tasse starken schwarzen Tee und aß die letzte Kartoffel vom Vortag. Den Rest hatte der Ingenieur gegessen.
    »Ich muß pissen«, sagte ich.
    »In das Waschbecken.«
    Er hatte vor sich ein paar Bücher liegen und blätterte darin. Eines davon war offenbar Hitlers Mein Kampf. Ich sah das Porträt, als er es aufschlug. Einige Stellen waren unterstrichen und am Rand mit Anmerkungen versehen. Als ich mich erleichtert hatte, nahm ich mir ein paar Mandeln aus dem Sack. Ich mußte ins Wohnzimmer zum Korbsessel gehen. Dort lag mein Recorder. Der Ingenieur setzte sich wieder vor die Eingangstür, so daß mir der Fluchtweg versperrt war. Vor sich hatte er auf einen Stuhl die Teekanne und eine Schale gestellt.
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