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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt
Autoren: W Kaminer
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entsprach. Gleich sein erster Besuch in der Küche löste bei Frolow Grauen und Schrecken aus. Der usbekische Koch benutzte prinzipiell nur ungewaschene Töpfe, das Wasser, das er zum Kochen nahm, war nicht sauber, in einer Ecke sah Frolow eine tote Wüstenmaus liegen, und eine lebendige kleine Schlange rutschte vor seinen Augen von einem Rohr ab und fiel in einen Topf mit Kartoffelbrei. Frolow äußerste seinen Unmut über den usbekischen Koch und meinte, er müsste die Kantine unter diesen Umständen eigentlich sofort schließen und den Major informieren. Daraufhin bekam er von dem Usbeken gesagt, man dürfe keine voreiligen Entscheidungen treffen, er solle bitte in einer Stunde wiederkommen, dann würde alles in bester Ordnung sein. Als Frolow nach einer Stunde zurückkam, wartete ein festlich gedeckter Tisch in einer Ecke der Küche auf ihn: ein Gurken-Tomaten-Salat, kleingeschnitten mit Zwiebeln und Sonnenblumenöl, dazu ein Fladenbrot mit Humus. Es war wie in einem Traum aus 1001 Nacht, und alles war wunderbar frisch und mit Liebe serviert. Dazu gab es, oh Wunder, eine Flasche echtes russisches Bier.
    Langsam besserte sich Frolows Dienst in Syrien beziehungsweise Libyen oder Ägypten. Tagsüber saß er in seinem Medizinerhäuschen und las Zeitung, spätabends kehrte er in der Kantine ein, um zusammen mit dem übrigen Adel der Armeeabteilung – dem Koch, dem Wäschemann und dem Telegraphisten – zu Abend zu essen und Karten zu spielen. Die Soldaten wurden so gut wie nie krank, und wenn, dann richtig schwer, sodass sie gleich hospitalisiert werden mussten. In den ganzen zwei Jahren musste Frolow kein einziges Mal Fieber messen oder Spritzen geben. Einmal übten die Soldaten jedoch Rache an ihm. Mehrere von ihnen meldeten sich mit Magenbeschwerden krank, drangen mit Erlaubnis des Majors ins Medizinerhäuschen ein und verprügelten Frolow heftig. Dafür wurden sie beinahe vor ein Kriegsgericht gestellt, obwohl Frolow sich nicht offiziell über sie beschwert hatte. Auf jeden Fall durften sie nicht weiter ihren ehrenvollen Friedensdienst in Syrien oder Libyen beziehungsweise Ägypten absolvieren. Sie wurden nach Sibirien abtransportiert.
    Frolow erhielt im Laufe seiner Dienstzeit sogar zwei Mal eine Auszeichnung für die Erfüllung seiner internationalen Pflicht. Er kam dick und glücklich nach Hause zurück, und oft, besonders, wenn er vor Mädchen angeben wollte, fasste er sich an seinen Bart und fing mit der vibrierenden Stimme eines beleidigten Tschechow an zu erzählen:
    »Also, während meiner Dienstjahre als Arzt in einem Regiment der russischen Armee an der libysch-syrischen Grenze …«
    Die Mädels, die seine Geschichte noch nicht kannten, hörten interessiert zu, alle anderen kicherten oder fielen vor Lachen unter den Tisch.
    Von solchen Erinnerungen geplagt habe ich mir neulich auf dem Flohmarkt im Mauerpark sogar einen Massagelöffel gekauft. So ein Unsinn. Eigentlich will ich sowieso auf dem Flohmarkt im Mauerpark nie etwas kaufen, komme aber trotzdem stets mit vollen Taschen nach Hause zurück. Inzwischen glaube ich dahintergekommen zu sein, warum das so ist. Auf dem Flohmarkt werden Menschen von den angebotenen Dingen hypnotisiert, deswegen bewegen sie sich dort wie Schlafwandler, haben Nebel in den Augen und handeln gelegentlich zum eigenen Nachteil. Sie werden von Flohmarktwaren, die einen neuen Besitzer suchen, psychisch beeinflusst. Kaum zeigt man Interesse an etwas Bestimmten und kauft zum Beispiel einen Löffel, sofort reckt sich einem der gesamte Flohmarktbestand an Besteck entgegen. Löffel, Gabeln und Messer springen wie Pilze aus dem Boden – und einem in die Tasche.
    Einmal kaufte ich gedankenlos aus Solidarität mit meiner Heimatstadt einen alten Alulöffel mit der russischen Aufschrift »Moskau freut sich über jeden Gast«. Ab sofort sah ich auf dem Flohmarkt nur noch Besteck. Löffel, Gabeln, Messer krümmten sich an jeder Flohmarktecke. Der bereits gekaufte gastfrohe Moskauer Löffel schaute neugierig aus meiner Tasche und gab mir wohlgemeinte Ratschläge, was ich noch unbedingt kaufen sollte. Es gab auf einmal sehr viel interessantes Besteck. Jägerbesteck zum Beispiel, bei dem Messer und Gabel flauschige Tierschwänzchen hatten und der Löffel eine Federung, die perfekt zur Hühnerbrühe gepasst hätte. Beim Fischbesteck hatte ich so meine Zweifel, ob ich tatsächlich acht Austerngabeln brauchte. Wir hatten bis dahin noch nie acht Austern gleichzeitig gegessen, zu Hause nicht
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