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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt
Autoren: W Kaminer
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werden. Die Voraussetzungen dafür hatte sie alle und fand deswegen entweder keine Zeit für Armeebesuche, oder sie hatte Angst vor dem Wald mit dem Stacheldraht. Vielleicht war sie sich auch ihrer Gefühle für mich nicht sicher. Ich habe auch nie darauf bestanden, dass sie mich besuchte, im Gegenteil, schrieb ich ihr, es sei gar nicht nötig. In Wirklichkeit war es jedoch sehr nötig. Einmal hat sie sich doch überwunden. Der Kinokenner vom Kontrollpunkt verkündete daraufhin pathetisch, ich werde von Meryl Streep erwartet. Die ganze Einheit, besonders meine bei den Nachbarn, gerieten vor Neugier beinahe aus ihren Häuschen und Höschen. Langsamen Schrittes brachte ich meine Meryl durch den Schnee zu meiner Station. Alle geheimen Nachtsichtgeräte, alle Geräuschempfänger und andere Systeme zur Beobachtung tieffliegender Objekte waren auf uns gerichtet. Meryl verbrachte zwar die Nacht auf meiner Station, aber wir haben uns mehr gestritten als geliebt. Nach der Armee wollte ich unbedingt auswandern, mein großer Traum war es, endlich die Welt zu sehen. Sie träumte dagegen von einer Karriere als Schauspielerin in Russland und wollte die Moskauer Theaterbühnen erobern. Für sie kam eine Ausreise nicht in Frage.
    Zwei Jahre saß ich in der Radiostation. Die tieffliegenden Objekte sind nicht über uns geflogen. 1989 kam ich zurück. Im gleichen Jahr begann der Sozialismus zu bröckeln und zu wackeln, im Grenzzaun unseres Landes tat sich ein Riss auf, und ich fuhr nach Ostberlin. Das war im Juli 1990, kurz vor der Wiedervereinigung, als die Berliner Mauer bereits durchlöchert war wie ein Sieb. Massen liefen durch sie hindurch, von Osten nach Westen und von Westen nach Osten, wie Unentschlossene, die nicht wissen, wo es ihnen besser gefällt.
    Man sagt, der höchste Sinn im Leben eines Mannes bestehe darin, ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen, ein Kind großzuziehen und ein Buch zu schreiben. Wenn ich dagegen auf mein Leben zurückblicke, war es bis jetzt ein ständiges Suchen nach einem Loch im Zaun.

Pink Floyd ist an allem schuld
    »Eine wunderbare Stadt, ich bin von Berlin überwäl tigt!«, sagte mein Onkel, als wir in unsere Straße ein bogen und endlich vor der Tür meines Hauses standen. »Du hast dir eine schöne Ecke zum Leben ausgesucht! So viele bunte Häuser, so viele Geschäfte, Cafés, Restaurants, man kann hier nicht verhungern!«
    Mein Onkel sah unsere Gegend durch die Augen eines Gastes, ich weiß aber, dass Gastronomen es hier schwer haben. Früher oder später gehen sie pleite, ganz egal, was sie anbieten. Als Letztes traf es das chinesisch-vietnamesische Schnellrestaurant »Beste Freunde« schräg gegenüber von meinem Haus, das unter anderem Sushi, Pasta, Pizza, Hotdogs und jeden Teufel im Speckmantel anbot, das Ganze verbunden mit aggressiver Werbung: Auf dem Plakat im Schaufenster stand »immer gut«. Was haben wir falsch gemacht?, wunderten sich wahrscheinlich die Besitzer, die es jedem recht machen wollten. Der Berliner aber ist misstrauisch, zu viel des Guten schreckt ihn ab. Er will nicht jede Exotik aus einer Hand bekommen, und er will nicht, dass es »immer gut« ist. Viel besser würde es ihm gefallen, wenn es eigentlich immer schlecht und nur extra seinetwegen ausnahmsweise gut gemacht wäre. Etwas, das immer gut ist, kann nicht gut sein.
    In die leerstehenden Räume des Restaurants zog ein Physiotherapeut ein, der dritte in unserer Straße. Alle drei brauchen keine Werbung, die Fenster sind auch so immer erleuchtet, die Praxen immer voll, die Massagen immer gut. Physiotherapeut ist hier ein Beruf fürs Leben, er ist zu Recht der Lieblingsarzt der Deutschen. Er ist auch der einzige, der das Leid seiner Patienten sofort mildern kann. Während ein Psychiater seine Patienten mit Pillen vertröstet, der Zahnarzt ihm Löcher in die Zähne bohrt, der Chirurg ihn sogar aufschneiden muss, um zu kucken, ob er helfen kann, massiert ihm der Physiotherapeut den Rücken, den Hals oder das Knie – und Wunder geschehen: Die Kranken werden gesund, die Krummen können wieder gerade stehen, die Lahmen laufen. Doch nichts währt ewig, und so ist auch die Phase der Heilung nach einer Massage extrem kurz. Der Patient muss immer wieder aufs Neue seine Knochen und Muskeln in die Praxis schleppen und sich erneut behandeln lassen – ein Kreislauf, der nur durch den Tod des Patienten oder des Arztes unterbrochen werden kann.
    Die Russen vergöttern ihre Physiotherapeuten ebenfalls. In den frühen
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