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Onkel Wanja kommt

Titel: Onkel Wanja kommt
Autoren: W Kaminer
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kamen gleich mehrere auf einmal, doch die Umschläge trugen keine Stempel, und der Text war von der Zensur mehr als zur Hälfte mit braunem Klebstoff vollgeschmiert worden. Erst nachdem das ganze Abenteuer vorbei war, erfuhr ich die Wahrheit über den Armeedienst meines Freundes:
    Frolow war in Syrien gelandet. Damals hatte die Sowjetunion ihre Armeeeinheiten an allen möglichen Orten der Erde stationiert, immerhin befanden wir uns im Kalten Krieg, der immer wärmer wurde. Wenn sich plötzlich irgendein Land in Afrika, Arabien oder in Asien kurzfristig dafür entschied, doch noch den sozialistischen Entwicklungsweg einzuschlagen, bekam es sofort Unterstützung durch einige Einheiten der sowjetischen Armee, die seinem Volk auf diesem steinigen Pfad helfen und es vor äußeren Feinden schützen sollten. Man munkelte, Syrien sei ein sehr schönes Land, wie aus 1001 Nacht. Leider bekam Frolow nichts von Syrien mit. Sein ganzer Eindruck des Landes bestand aus drei in der Wüste stehenden Baracken, die von Stacheldraht umzäunt waren. Überhaupt waren sich die meisten Soldaten in dieser Einheit gar nicht sicher, ob man sie überhaupt in Syrien stationiert hatte. Sie hielten es für eine mögliche Desinformation des Stabes, die verbreitet wurde, um das Geheimnis des Stationierungsortes besser wahren zu können. Keiner der Soldaten hat dort jemals irgendwelche Syrer gesehen, und durch das Fernsehprogramm konnte man ohne Sprachkenntnisse den Aufenthaltsort ebenfalls nicht eindeutig zuordnen. Vielleicht war es Libyen, vielleicht aber auch Ägypten. Der Koch in der Kantine behauptete allerdings, er habe die Trinkwasservorräte von einer syrischen Armeeeinheit geliefert bekommen, das musste aber an sich auch noch nichts bedeuten.
    Frolow gefiel dieses Syrien vom ersten Tag an nicht. Noch weniger gefiel ihm seine Einheit. Die meisten Jungsoldaten kamen vom Land, sie hatten andere Interessen als unser Freund, und er konnte oder wollte sich mit keinem einzigen Soldaten anfreunden. Deswegen machte er sofort drei Schritte nach vorn, als der Major bei der allmorgendlichen Aufstellung fragte, ob jemand eine medizinische Ausbildung habe. Es wurde ein Feldarzt für den lokalen Sanitätsstützpunkt gebraucht. Der Major bestellte Frolow zu sich in den Stab und fragte ihn unter vier Augen, wo sein Medizindiplom abgeblieben sei und ob er irgendwelche anderen Zeugnisse besäße, die seine medizinische Ausbildung belegen könnten. Frolow log, er würde jede Menge solcher Papiere besitzen, die es aber anscheinend nicht bis nach Syrien bzw. Libyen oder Ägypten geschafft hätten. Auch ohne Papiere hätte er jedoch noch alle Kenntnisse parat und könne auf alle Fälle Erste Hilfe leisten. All seine Erfahrungen, die er in den vielen Jahren an der medizinischen Hochschule und später im Krankenhaus beim Praktikum als Nachtarzt gesammelt hatte, wollte er nun gerne in den Dienst der sowjetischen Armee stellen.
    Mit seiner aufrichtigen Art gelang es ihm, den Major zu überzeugen, und er zog noch am gleichen Tag aus der Kaserne aus und in ein hübsches Häuschen neben dem Stab, wo er ein eigenes Bett ohne schnarchende Nachbarn und eine eigene Toilette besaß – sehr zum Unmut seiner Kameraden, die dem frischgebackenen Arzt versprachen, ihn sofort zu verdreschen, sollte er jemals sein Medizinerhäuschen verlassen. Das hatte Frolow aber auch nicht vor. Er verließ den Medizinstützpunkt nur am späten Abend, wenn die Sonne am Rande der Wüste unterging und den übrigen Soldaten das Verlassen ihrer Unterkünfte streng untersagt war.
    In seiner neuen Rolle als syrischer Arzt handelte Frolow stets nach dem hippokratischen Eid, obwohl er ihn gar nicht geleistet hatte. Doch selbst wenn er gewollt hätte, konnte er mit dem Inhalt seines Medizinschranks keinen großen Schaden anrichten. Als Feldarzt verfügte er über ein Thermometer, ein Blutdruckmessgerät, einen Karton Verbandszeug, mehrere Spritzen und eine Menge Kapseln mit Antibiotika, vermutlich Penizillin. Wenn man die Kapseln schüttelte, konnte man sehen, wie kleine weiße Kristalle darin schwammen.
    Frolow kam gut mit seinem Job klar. Die Temperatur messen oder eine Verletzung verarzten konnte er, Spritzen hat er zwar nie gesetzt, wusste aber rein theoretisch, wie das ging. Neben der Aufgabe, mögliche Verletzungen zu behandeln, gehörte es zu seinen dienstlichen Aufgaben, regelmäßig den Zustand der Kantinenküche zu kontrollieren: ob sie den in der Armee üblichen hygienischen Anforderungen
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