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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind
Autoren: Stephen King
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New York/Albany
1
    »Daddy, ich bin müde«, sagte das kleine Mädchen in der roten Hose und der grünen Bluse gereizt. »Können wir nicht stehenbleiben?«
    »Noch nicht, Honey.«
    Der Mann war groß und breitschultrig und trug eine schäbige Cordjacke mit abgewetzten Ärmeln und eine braune Hose aus grobem Stoff. Er und das kleine Mädchen gingen Hand in Hand die Third Avenue in New York City hinauf. Sie gingen schnell. Fast liefen sie. Er schaute über die Schulter zurück, und der grüne Wagen war immer noch da und schlich langsam auf der rechten Spur dahin.
    »Bitte, Daddy, bitte.«
    Er schaute sie an und sah, wie blaß ihr Gesicht war. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er nahm sie hoch und ließ sie in seiner Armbeuge sitzen, aber er wußte nicht, wie lange er das noch schaffte. Auch er war müde, und Charlie war kein Leichtgewicht mehr.
    Es war fünf Uhr dreißig nachmittags, und die Third Avenue war verstopft. Sie passierten die Querstraßen in den oberen Sechzigern, und diese Querstraßen waren dunkler und weniger belebt … Aber gerade das fürchtete er.
    Sie rempelten eine Dame an, die einen Einkaufswagen mit Lebensmitteln schob. »Passen Sie doch auf«, sagte sie, und dann war sie verschwunden, aufgesogen von der hastenden Menge.
    Sein Arm ermüdete, und er verlagerte Charlies Gewicht auf den anderen. Noch einmal schaute er sich kurz um, und der grüne Wagen war immer noch da. Er verfolgte sie und war nur noch einen halben Block hinter ihnen. Auf dem Vordersitz saßen zwei Männer, und er meinte, auf dem Rücksitz einen dritten ausgemacht zu haben.
    Was soll ich jetzt tun?
    Darauf wußte er keine Antwort. Er war müde und hatte Angst und konnte kaum noch denken. Sie hatten ihn zu einer ungünstigen Zeit erwischt, und die Schweine wußten das wahrscheinlich. Er wollte jetzt nur eins: sich auf die dreckige Bordsteinkante setzen und seine Verzweiflung und seine Angst herausschreien. Aber das war keine Lösung. Schließlich war er der Erwachsene. Er mußte für sie beide denken.
    Was sollen wir jetzt tun?
    Kein Geld. Das war, von den Männern im grünen Wagen abgesehen, vielleicht das größte Problem. Ohne Geld war in New York nichts zu machen. Leute ohne Geld verschwanden ganz einfach von der Bildfläche; sie tauchten in den Gassen unter und wurden nie mehr gesehen.
    Wieder schaute er sich um und sah, daß der grüne Wagen aufgerückt war, und der Schweiß lief ihm noch ein wenig schneller den Rücken und die Arme hinunter. Wenn sie so viel wußten, wie er vermutete – nämlich wie wenig ihm von seinen außergewöhnlichen Kräften noch verblieben war – könnten sie vielleicht versuchen, ihn gleich hier zu greifen. Selbst die vielen Leute würden sie davon nicht abhalten. Wenn man in New York nicht selbst betroffen war, entwickelt man eben diese eigenartige Gleichgültigkeit. Haben sie meine sämtlichen Daten? überlegte Andy verzweifelt. Wenn ja, dann ist alles gelaufen; dann saß er in der Falle. Wenn sie die Daten hatten, dann kannten sie auch das ganze Muster. Wenn Andy Geld bekam, passierten die seltsamen Dinge für eine Weile nicht mehr. Die Dinge, an denen sie so brennend interessiert waren.
    Weitergehen. Klar, Chef. Gewiß doch, Chef. Wohin?
    Er war mittags zur Bank gegangen, denn sein inneres Radar hatte ihn alarmiert – diese komische Ahnung, daß sie schon wieder näher gekommen waren. Und war das nicht eigenartig? Andrew McGee hatte bei der Chemical Allied Bank von New York kein Konto mehr, kein persönliches, kein Giro-, kein Sparkonto. Alle Konten hatten sich in Luft aufgelöst. Und nun wußte er, daß sie diesmal wirklich Ernst machten. War das Ganze tatsächlich erst fünfeinhalb Stunden her?
    Aber vielleicht war ihm von seinen Fähigkeiten ein kleiner Rest geblieben. Nur ein winziger Rest. Das letzte Mal lag fast eine Woche zurück – da war dieser Selbstmordkandidat aus der von ihm geleiteten Selbsterfahrungsgruppe, der an einem der regelmäßig am Donnerstagabend stattfindenden Beratungsgespräche teilgenommen hatte und dann mit geradezu gespenstischer Gelassenheit über Hemingways Selbstmord referiert und sich dafür begeistert hatte. Und auf dem Weg nach draußen hatte Andy wie beiläufig den Arm um die Schultern des Selbstmordkandidaten gelegt und hn psychisch beeinflußt. Hatte sich das wirklich gelohnt? Denn jetzt sah es so aus, als ob er und Charlie dafür büßen müßten. Fast hoffte er, daß ein Echo…
    Aber nein. Entsetzt und von sich selbst angewidert, gab er den
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