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Olympos

Titel: Olympos
Autoren: Dan Simmons
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Dionysos blieb an Armen und Beinen in Eisen gelegt. »Darf ich etwas sagen?«, fragte der blasse kleine Gott. Seine Stimme trug nicht so weit wie die von Hektor.
    Hektor zögerte.
    »Lasst den Gott sprechen!«, rief der Seher Helenos von seinem Platz neben Priamos auf der Tribüne vor der Tempelmauer herab.
    »Lasst den Gott sprechen!«, rief der achäische Seher Kalchas von seinem Platz neben Menelaos.
    Hektor runzelte die Stirn, nickte jedoch. »Sprich deine letzten Worte, Nebensohn des Zeus. Doch selbst wenn du deinen Vater um Hilfe anflehst, wird dich das nicht retten. Nichts wird dich heute retten. Heute bist du die Ehrengabe für das Leichenfeuer meines Bruders.«
    Dionysos lächelte, aber es war ein ängstliches Lächeln – schon für einen Sterblichen, geschweige denn für einen Gott.
    »Trojaner und Achäer«, rief der pummelige kleine Gott mit der struppigen, spärlichen Gesichtsbehaarung. »Ihr könnt ke i nen der unsterblichen Götter töten. Ich bin dem Schoß des Todes en t sprungen, ihr Narren. Als Zeus ’ Kind und kleiner Gott habe ich mit Dingen gespielt, die der Prophezeiung zufolge die Spielsachen des neuen Weltenherrschers waren – Würfel, Ball, Kreisel, gold e ne Äpfel, Rassel und Wolle.
    Aber die Titanen, die mein Vater bezwungen und in den Tart a ros geworfen hatte, die Hölle unter der Hölle, das Albtraum-Reich unter dem Reich der Toten, in dem dein Bruder Paris jetzt schwebt wie ein vergessener Furz, färbten sich das Gesicht mit Kreide, kamen wie die Geister der Toten und fielen mit ihren bl o ßen weißen Händen über mich her. Sie rissen mich in sieben St ü cke und warfen mich in einen Kessel, der an einem Dreifuß über einem viel heißeren Feuer hing als dieser armselige Scheiterha u fen, den ihr heute hier errichtet habt.«
    »Bist du fertig?«, fragte Hektor und hob sein Schwert.
    »Fast«, sagte Dionysos. Seine Stimme klang jetzt froher und fe s ter, und sie hallte kraftvoll von den fernen Mauern wider, die z u vor Hektors Stimme zurückgeworfen hatten.
    »Sie kochten mich und brieten mich dann an sieben Spießen über dem Feuer, und der Geruch war so köstlich, dass er me i nen Vater, Zeus, zum Festmahl der Titanen hinablockte, weil er auf eine Einladung zu dem Schmaus hoffte. Doch als er meinen Ki n derschädel am Spieß sah und meine Kinderhände in der Suppe, erschlug Vater die Titanen mit einem Blitz und warf sie wieder in den Tartaros, wo sie bis zum heutigen Tag in Furcht und Elend leben.«
    »Ist das alles?«, fragte Hektor.
    »Fast.« Dionysos hob das Gesicht zu König Priamos und den Mitgliedern der königlichen Familie auf der Tribüne vor dem Zeustempel. Die Stimme des kleinen Gottes war jetzt ein Stierg e brüll.
    »Andere sagen jedoch, dass meine gekochten Glieder in die Erde gelegt wurden, wo Demeter sie einsammelte – und so k a men die ersten Reben zum Menschen und schenkten euch Wein. Nur eine meiner kindlichen Gliedmaßen überstand das Feuer und die Erde – und Pallas Athene brachte sie Zeus, der mein kradiaios Dionysos Hipta anvertraute, wie man in Asien die Große Mutter Rhea nannte; sie sollte es auf dem Kopf tragen. Vater benutzte diesen Ausdruck, kradiaios Dionysos, als eine Art Wortspiel, wisst ihr, weil kradia in der alten Sprache › Herz ‹ bedeutet, krada dagegen › Fe i genbaum ‹ , und darum … «
    »Genug«, rief Hektor. »Endloses Geplapper wird dein Hundel e ben nicht verlängern. Finde mit zehn oder weniger Worten zum Ende, oder ich tu ’ s für dich.«
    »Verspeist mich«, sagte Dionysos.
    Hektor schwang sein großes Schwert mit beiden Händen und enthauptete den Gott mit einem Streich.
    Der Menge aus Trojanern und Griechen stockte der Atem. Die dicht an dicht stehenden Menschen traten allesamt einen Schritt zurück. Dionysos ’ kopfloser Körper stand etliche Sekunden schwankend, aber immer noch aufrecht auf der untersten Plat t form, bis er plötzlich niedersank wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte. Hektor hob den heruntergefall e nen Kopf, dessen Mund noch offen stand, an dem dünnen Bart in die Höhe und warf ihn hoch hinauf auf den Scheiterhaufen, sodass er zw i schen den Kadavern der Pferde und Hunde land e te.
    Hektor, der sein Schwert nun mit gestrecktem Arm führte wie eine Axt, hieb weiter auf den Leib ein – er schnitt Dionysos erst die Arme, dann die Beine, dann die Genitalien ab und warf j e des Stück auf einen anderen Bereich des Scheiterhaufens. Er achtete jedoch darauf, sie nicht zu nah an Paris
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