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Olympos

Titel: Olympos
Autoren: Dan Simmons
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während Helena und Tausende and e re ihm von den Mauern über dem skäischen Tor aus jubelnd nachblickten. Seine hurtigen Füße trugen ihn fort, »dem Jugen d glanze vertrauend«, wie König Priamos ’ Lieblingsdichter zu si n gen beliebte. Doch an diesem Tag trugen sie ihn zu se i nem Tod von den Händen des wütenden Apoll.
    Und nun ist er tot, und wenn die im Flüsterton weitergegebenen G e rüchte stimmen, die Helena zu Ohren gekommen sind, ist sein Körper ein verbranntes, verwüstetes Ding; seine Knochen sind gebr o chen, sein vollkommenes, goldenes Gesicht ist zu einem obszön grinsenden Tote n schädel verbrannt, die blauen Augen sind zu Talg g e schmolzen, Fetzen gerösteter Haut ziehen sich von seinen versengten Wangenknochen nach hinten wie … wie bei den schwelenden Kad a vern der Opfertiere, die zu Ehren der Götter auf den Altären ve r brannt werden. Helena fröstelt im kalten Wind, der mit der Mo r gendämmerung aufgekommen ist, und sieht Rauch über den Dächern Trojas aufsteigen.
    Aus dem Achäerlager im Süden schießen drei Luftabwehrrak e ten fauchend himmelwärts und setzen sich auf die Spur des flüc h tenden Götter-Streitwagens – ein kurzes Aufblitzen, hell wie der Morgenstern, verfolgt von den Kondensstreifen der griechischen Raketen. Dann verschwindet der glänzende Punkt abrupt per Quantenverschiebung, und der Morgenhimmel ist wieder leer. Flieht nur zurück zum belagerten Olympus, ihr Feiglinge, denkt Hel e na von Troja.
    Die Entwarnungssirenen beginnen zu heulen. Auf der Straße unter Helenas Gemächern in Paris ’ Anwesen ganz in der Nähe von Priamos ’ zerbombtem Palast wimmelt es auf einmal von Menschen, die mit Wassereimern Richtung Nordwesten laufen, wo noch immer Rauch in die Winterluft emporsteigt. Moravec-Flugmaschinen brummen über die Dächer hinweg; ihre widerh a kenbewehrten Fahrwerke und hin und her schwenkenden Proje k toren verleihen ihnen verblüffende Ähnlichkeit mit chit i nösen schwarzen Hornissen. Wie Helena aus Erfahrung und von H o ckenberrys nächtlichen Tiraden weiß, werden einige von ihnen für die Luftsicherung sorgen, wie er es nennt, wä h rend andere beim Feuerlöschen helfen. Anschließend werden Trojaner und Moravecs stundenlang verstümmelte Körper aus den Trümmern bergen. Da Helena so gut wie alle Einwohner der Stadt kennt, fragt sie sich benommen, wer von ihnen so früh an diesem Mo r gen in den Hades hinabgeschickt worden ist.
    Am Morgen von Paris ’ Bestattung. Der Bestattung meines Gelie b ten. Meines törichten, betrogenen Geliebten.
    Helena hört, wie sich ihre Dienerinnen zu regen beginnen. Die älteste von ihnen – Aithra, die Mutter des königlichen Theseus und einstige Königin von Athen, bis sie von Helenas Brüdern zur Vergeltung für die Entführung ihrer Schwester verschleppt wo r den ist – steht in der Tür von Helenas Schlafgemach.
    »Soll ich den Mädchen Anweisung geben, das Badewasser ei n zulassen, Herrin?«, fragt Aithra.
    Helena nickt. Sie schaut noch einen Moment lang zu, wie der Himmel heller wird – der Rauch im Nordwesten wird erst d i cker und dann schwächer, als die Feuerwehr und die fliegenden Löschmaschinen der Moravecs die Brände unter Kontrolle bri n gen; die Kampfhornissen der Steinvecs jagen weiter gen Osten, setzen ohne jede Aussicht auf Erfolg dem Streitwagen nach, der sich schon per Quantenteleportation in Sicherheit g e bracht hat –, dann dreht sich Helena von Troja um und tappt mit ihren bloßen Füßen leise über den kalten Marmor. Sie muss sich auf Paris ’ B e stattungszeremonie vorbereiten, aber auch auf ihr erstes Wiede r sehen seit zehn Jahren mit ihrem gehörnten Gatten, Menelaos. Außerdem werden Hektor, Achilles, Menelaos, Helena und viele andere Achäer und Trojaner zum ersten Mal gemeinsam an einem öffentlichen Ereignis teilnehmen. Alles Mögliche könnte passi e ren.
    Nur die Götter wissen, was dieser schreckliche Tag bringen wird, denkt Helena. Und dann muss sie trotz ihrer Trauer lächeln. In diesen Tagen werden Gebete an die Götter gewiss nicht mehr e r hört. In diesen Tagen haben die Götter nichts mehr für die Sterbl i chen übrig – jedenfalls nichts außer Tod, Verderben und schrec k licher Zerstörung, die sie mit ihren göttlichen Händen zur Erde tragen.
    Helena von Troja geht ins Haus, um zu baden und sich für die Bestattungszeremonie anzukleiden.
     

2
    Angetan mit seiner besten Rüstung, stand der rothaarige Menelaos reglos, königlich und stolz zwischen
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