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Olympos

Titel: Olympos
Autoren: Dan Simmons
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mitgenommen hat.
    Hektor wählt zwei der Hunde aus und befiehlt mit einer Kop f bewegung, die anderen wegzuführen. Er hält die beiden Tiere eine Minute lang liebevoll an der losen Haut im Nacken gepackt, als wollte er ihnen einen Knochen oder einen Leckerbissen anbi e ten, dann schneidet er jedem von ihnen so brutal den Hals durch, dass die Klinge den Kopf beinahe vom Körper trennt. Anschli e ßend schleudert er die Kadaver der beiden Hunde eigenhändig auf den Scheiterhaufen – weit über die toten Hengste hinweg, s o dass sie am Fuß der Bahre landen.
    Jetzt gibt es eine Überraschung.
    Zehn Trojaner und zehn achäische Lanzenträger in bronzener Rüstung geleiten einen Karren nach vorn. Auf dem Karren ist ein Käfig. In dem Käfig ist ein Gott.
     

3
    Auf der königlichen Ehrentribüne an der Mauer des Zeuste m pels verfolgte Kassandra die Bestattungszeremonie für Paris mit i m mer unheilvolleren Vorahnungen. Als der Karren auf den Mark t platz gezogen wurde – von acht ausgewählten trojanischen La n zenträgern, nicht von Pferden oder Ochsen –, ein Karren, dessen einzige Fracht ein todgeweihter Gott war, schwanden Kassandra beinahe die Sinne.
    Helena packte sie am Ellbogen und hielt sie fest. »Was ist?«, flü s terte die Griechin, ihre Freundin, die zusammen mit Paris diese Tragödie ausgelöst und all dieses Leid über Troja g e bracht hatte.
    »Es ist Wahnsinn«, flüsterte Kassandra und lehnte sich an die Marmorwand, wobei sie Helena im Unklaren darüber ließ, ob sie ihren Wahnsinn, den Wahnsinn, einen Gott zu opfern, den Wah n sinn dieses ganzen, langen Krieges oder den Wahnsinn des Menelaos unten auf dem Platz meinte, einen Wahnsinn, der wä h rend der letzten Stunde an Stärke spürbar zugenommen hatte wie ein schreckliches, von Zeus gesandtes Gewitter. Ka s sandra selbst wusste ebenso wenig, was sie meinte.
    Der gefangene Gott, der nicht nur hinter den in den Karren g e triebenen Eisenstangen festgehalten wurde, sondern auch in dem durchsichtigen Ei des Moravec-Kraftfelds, dem er seine Gefa n genschaft letztlich verdankte, hieß Dionysos – oder Dion y sus, Sohn des Zeus und der Semele. Er war der Gott der Erfüllung im Rausch, in der körperlichen Liebe und in der Ekstase. Kassandra, deren persönlicher Gott von Kindesbeinen an der Paris-Töter Apollo gewesen war, hatte dennoch mehr als einmal intime Zwi e sprache mit Dionysos gehalten. Er war die ei n zige Gottheit, die in diesem neuen Krieg bisher im Kampf gefangen genommen wo r den war – niedergerungen vom gottgleichen Achilles, von der Moravec-Magie an der Quantenteleportation gehindert, vom li s tenreichen Odysseus zur Kapitulation bewegt, eingeschlossen im geliehenen Moravec-Kraftfeld, das ihn jetzt wie Hitzewellen an einem Sommertag umflimmerte.
    Für einen Gott machte Dionysos nicht viel her – er war von kle i ner Statur, nur sechs Fuß groß, blass, selbst nach menschl i chen Maßstäben pummelig, mit einem dicken Schopf goldbrauner L o cken und dem spärlichen Flaum eines Jungen, der sich an seinem ersten Bart versuchte.
    Der Karren blieb stehen. Hektor schloss den Käfig auf und lan g te durch das halb durchlässige Kraftfeld, um Dionysos auf die erste Stufe der Treppe zum Scheiterhaufen zu ziehen. Achi l les legte dem kleinen Gott ebenfalls die Hand ins Genick.
    »Deizid«, wisperte Kassandra. »Göttermord. Wahnsinn und Deizid.«
    Helena, Priamos, Andromache und die anderen auf der Z u schauertribüne ignorierten sie. Aller Augen waren auf den hel l häutigen Gott und die beiden größeren, gebräunten Sterbl i chen links und rechts von ihm gerichtet.
    Im Gegensatz zur dünnen Stimme des Sehers Helenos, die im kalten Wind und dem Gemurmel der Menge untergegangen war, rollten Hektors dröhnende Worte über das überfüllte Stadtzen t rum hinweg und hallten von den hohen Türmen und Mauern Il i ums wider; höchstwahrscheinlich waren sie noch auf den Gipfeln des Ida-Gebirges etliche Kilometer im Osten deutlich zu verne h men.
    »Paris, geliebter Bruder – wir sind hier, um dir Lebwohl zu s a gen, und zwar so, dass du uns selbst dort noch hörst, wo du nun wohnst, tief unten im Haus des Todes.
    Wir schicken dir süßen Honig, seltenes Öl, deine Lieblingsrö s ser und deine treuesten Hunde – und nun opfere ich dir diesen Gott vom Olympos, einen Sohn des Zeus. Möge sein Fett die hungrigen Flammen nähren und deine Seele rascher in den Hades führen.«
    Hektor zog sein Schwert. Das Kraftfeld flackerte und erlosch, aber
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