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Olympos

Titel: Olympos
Autoren: Dan Simmons
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’ Totenbahre zu werfen, weil er und die anderen die Asche später sortieren mussten, um Paris ’ teure Gebeine vom wertlosen Knochenmüll der Hunde, Pferde und des Gottes zu trennen. Schließlich schnitt Hektor den Rumpf in Dutzende kleiner, fleischiger Stücke und warf die mei s ten davon auf den Scheiterhaufen. Einige warf er jedoch auch dem Rudel von Paris ’ überlebenden Hunden vor, die von den Mä n nern, die sich seit dem Trauerzug um sie gekümmert hatten, auf dem Platz freigelassen worden w a ren.
    Als die letzten Knochen und Knorpel in Stücke zerhackt wu r den, schien aus den jämmerlichen Überresten von Dionysos ’ Leichnam eine schwarze Wolke emporzusteigen – wie eine wi r belnde Masse unsichtbarer schwarzer Mücken, wie ein kle i ner Zyklon aus schwarzem Rauch –, und zwar so stürmisch, dass selbst Hektor ein paar Sekunden lang in seinem grimm i gen Werk innehalten und zurücktreten musste. Die Menge, ei n schließlich der in Reih und Glied angetretenen trojanischen Fußsoldaten und der achäischen Helden, wich ebenfalls einen weiteren Schritt z u rück. Einige der Frauen auf den Mauern schrien auf und bedec k ten das Gesicht mit ihren Schleiern und Händen.
    Gleich darauf war die Wolke verschwunden. Hektor warf die letzten Stücke teigig-weißen und rosafarbenen Fleisches auf den Scheiterhaufen und stieß den Brustkorb samt Rückgrat mit einem Fußtritt unter die aufgehäuften Holzbündel. Dann legte er mü h sam seine blutige Bronze ab und erlaubte seinen Helfern, die b e schmutzte Rüstung wegzutragen. Ein Sklave brachte ihm ein Wasserbecken, und der hoch gewachsene Mann wusch sich damit das Blut von Armen, Händen und Stirn und ließ sich von einem anderen Sklaven ein sauberes Handtuch reichen.
    Frisch gewaschen, nur mit Chiton und Sandalen bekleidet, hob Hektor die goldene Schale mit den soeben abgeschnittenen Tra u erlocken in die Höhe, stieg die breiten Stufen zum Gipfel des Scheiterhaufens hinauf, wo die Totenbahre auf ihrem Kat a falk aus harzigem Holz stand, und schüttete die Haare der geliebten A n gehörigen, Freunde und Kameraden seines Bruders auf dessen Leichentuch. Ein Läufer – der schnellste bei allen Laufwettkäm p fen in Trojas jüngerer Geschichte – kam mit einer großen Fackel durchs skäische Tor herein, lief durch die Menge aus Fußsold a ten und Zuschauern – eine Menge, die sich für ihn teilte – und sprang die breiten Stufen hinauf zum höchsten Punkt des Scheiterha u fens, wo Hektor bereits auf ihn wartete.
    Der Läufer reichte Hektor die flackernde Fackel, verneigte sich tief und stieg rücklings die Stufen hinunter, ohne sich wieder au f zurichten.
     
    Menelaos schaut nach oben, als eine dunkle Wolke über die Stadt hinwegzieht.
    »Phöbus Apollo verhüllt den Tag«, flüstert Odysseus.
    Ein kalter Westwind fährt just in dem Moment über den Platz, als Hektor die Fackel in das Fett und das harzgetränkte Holz u n ter der Totenbahre wirft. Das Holz qualmt, brennt jedoch nicht.
    Menelaos, der im Kampf immer weitaus heißblütiger gewesen ist als sein Bruder Agamemnon und viele andere der stoisch s ten Schlächter und größten Helden unter den Griechen, spürt, wie sein Herz schneller schlägt, als der Moment zum Handeln naht. Es macht ihm nicht viel aus, dass er vielleicht nur noch wenige M i nuten zu leben hat – Hauptsache, diese Hündin H e lena fährt vor ihm kreischend in den Hades hinab. Wenn es nach Menelaos, dem Atreussohn, ginge, würde die Frau in die tiefere Hölle des Tart a ros geworfen, wo die Titanen, von denen der tote Gott Dionysos gerade gesprochen hat, noch immer vor Qualen schreiend in der tosenden Düsternis umherstolpern.
    Hektor macht eine Handbewegung, und Achilles bringt se i nem ehemaligen Feind zwei randvolle Kelche und geht dann wieder die Stufen hinunter. Hektor hebt die Kelche.
    »Winde des Westens und Nordens«, ruft Hektor mit erhob e nen Kelchen, »brausender Zephyr und kaltfingriger Boreas, kommt mit einem starken Windstoß und entfacht den Scheiterhaufen zum Brand, auf dem Paris gebettet liegt, den alle Troj a ner und selbst die ehrenden Argeier um ihn herum betrauern! Komm, B o reas, komm, Zephyr, helft uns mit eurem Atem, diesen Scheite r haufen zu entzünden, und ich verspreche euch schöne Opfer und viele Spenden aus goldenem Becher!«
     
    Auf der Tribüne über ihm flüstert Helena Andromache zu: »Das ist Wahnsinn. Wahnsinn. Unser geliebter Hektor erfleht die Hilfe der Götter, mit denen wir Krieg führen, um
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