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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Autoren: A Plichota
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seinem Nacken fest, während sie die Landschaft betrachtete. Der Niedergang Edefias war nicht zu übersehen: Wüsten hatten die Wälder verdrängt, Flüsse waren ausgetrocknet, selbst die massivsten Berge bröckelten. Alles Leben siechte dahin. Oksa dachte an ihre Großmutter und wie traurig sie der Anblick ihrer verlorenen Welt wohl gestimmt hätte, wenn sie sie hätte sehen können. Und trotzdem konnte Oksa nicht umhin, die potenzielle Fülle und Harmonie zu spüren, die hinter diesem grauen Himmel und unter dieser vertrockneten Erde schlummerten. Der Keim der Erneuerung war schon da, kraftvoll und fast mit Händen zu greifen. Oksa konnte es sich gar nicht anders vorstellen. Die Berge unter ihr funkelten trotz des schwindenden Lichts in allen Farben. Sie konnte die Grashalme und Gebirgsblumen erahnen, die nur darauf warteten, wieder aufzublühen. Und dieser kümmerliche Wasserfall dort war bestimmt eine der berühmten langen Kaskaden. Er mochte momentan nur noch ein Rinnsal sein, aber er war dennoch ein Symbol der Hoffnung. Es war alles eine Frage des Blickwinkels, das wusste Oksa nur zu gut.
    Sie schaute auf die endlose Abfolge schillernder Felsen hinunter. An einer schwer zugänglichen Passage zwischen zwei schroffen Felswänden glaubte sie, eine vertraute Gestalt ausmachen zu können. Sofort musste sie an Tugdual denken, und tausend Fragen stürmten auf sie ein. Hatte er sie verraten? Das konnte sie einfach nicht glauben. Was zwischen ihnen entstanden war, seit sie sich zum ersten Mal begegneten, war so wahrhaftig, dass es einfach keine Lüge sein konnte. Und dennoch hatte Tugdual die Flucht ergriffen, als Zoé ihn der Täuschung beschuldigt hatte. Er war abgehauen, ohne sie auch nur eines Blickes oder eines Wortes zu würdigen. Weil er sich nicht hätte rechtfertigen können? Weil Zoé recht hatte mit dem, was sie sagte? Oksa sehnte sich nach Klarheit! Aber mehr noch als ihre eigenen Ängste quälte sie die Vorstellung, dass Tugdual irgendwo verloren umherirrte, zermürbt von seinen eigenen Grübeleien und womöglich in Gefahr. Sie liebte ihn trotz allem. Und das bedeutete, dass sie seine Erklärung abwarten würde, bevor sie sich ein Urteil erlaubte. Geduld war zwar nicht gerade ihre Stärke, aber Tugdual verdiente, dass sie ihm diese Chance gab. Und sollte sich am Ende doch herausstellen, dass er sie verraten hatte, nun dann …
    Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Abakum fühlte ihre Verwirrung und ihre inneren Kämpfe. Wegen ihres gestörten Gleichgewichtssinns konnte sie sich nicht zu ihm umdrehen. So legte sie nur ihre Hand auf die des Feenmannes und schmiegte sich noch enger an den Drachen. Das Geschöpf brüllte und stieß eine Flamme aus, die über die funkelnden Bergspitzen hinwegstrich. Ein Insektenschwarm flog erschrocken aus dem Schutz einer Felsnische auf und erinnerte Oksa daran, dass es sehr wohl noch Leben gab, und sei es in dieser von ihr so verabscheuten Form.
    In der Biegung einer Schlucht richtete sich der Drache plötzlich auf: Er schlug mit den Flügeln, um sich an Ort und Stelle in der Luft zu halten, während lose Felsbrocken ins Tal stürzten. Brune und Naftali blieben an seiner Seite. Direkt vor ihnen, in der Flanke des höchsten Gipfels der Bergkette, waren etwa ein Dutzend Höhlen in den Fels gehauen. Ein intensives, grelles Licht drang daraus hervor und brach sich tausendfach funkelnd in den bunten Edelsteinen und Mineralien der Felsen ringsum. Im Eingang der größten Höhle, der gut und gerne vier Meter hoch sein mochte, zeichnete sich eine Gestalt ab. Es war Andreas. Oksa und ihre Eskorte wurden also bereits erwartet. In den anderen Höhleneingängen erschienen nun ebenfalls Menschen: Die Leibgarde des Obersten der Mauerwandler hatte keine Zeit verloren und war fast vollständig herbeigeeilt. Alle waren bereit für das große Treffen.

In der Höhle des Durchscheinenden
    G
estützt von Naftali und Abakum, kletterte Oksa vom Rücken des Drachen. Es ärgerte sie, dass die Mauerwandler sie so geschwächt erlebten. Etwa zwanzig Männer und Frauen sammelten sich um ihren Anführer und seine beiden Söhne Andreas und Orthon. Nach der kurzen Euphorie während des Flugs über Steilfels empfand Orthon die Anwesenheit seines Halbbruders wie ­einen Schlag ins Gesicht. Und dies umso mehr, als er bemerkte, wie die Rette-sich-wer-kann ihn ansahen. Naftali fixierte ihn mit ironischem, Abakum gar mit mitleidigem Blick, was unerträglich war. Um es ihnen heimzuzahlen, packte er Zoé an
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