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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige
Autoren: A Plichota
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klang, dann in Englisch. Ein Flug wurde angekündigt. Im nächsten Augenblick stürzte eine Flut von Menschen auf die Ausgänge zu, es war ein unbeschreibliches Chaos. Der Lärm war so groß, dass Oksa nicht einmal den Zielflughafen dieses einzigen Flugs hatte verstehen können. Alle drängten unter Einsatz ihrer Ellbogen nach vorn. Es regierte das Recht des Stärkeren in seiner ganzen Grausamkeit.
    Die Gruppe versuchte, sich mit Marie im Rollstuhl einen Weg zu bahnen. Andrew schwenkte ihre Flugtickets über dem Kopf, und wäre Gus nicht dazwischengegangen, so hätte eine hysterische Frau sie ihm aus der Hand gerissen. Das Durcheinander verschärfte sich, die Brutalität nahm zu, schließlich entschlossen sich die Soldaten einzugreifen. Voller Entsetzen sah Oksa sie einfach in die Luft schießen. Panische Schreie gellten durch die Halle, und als die bewaffneten Soldaten die Menge einkesselten, wurde es still.
    »Passagiere, die ein Flugticket haben, gehen bitte zum Schalter vor«, rief einer von ihnen. »Die anderen warten hier!«
    Ein Teil der Menge begab sich zu dem bezeichneten Schalter. Oksa beobachtete erleichtert, wie der Rollstuhl ihrer Mutter von ihren Gefährten und den Soldaten zur Passagierbrücke eskortiert wurde. Das Filmauge machte einen Schwenk über die ganze Gruppe, die sich gegenseitig beglückwünschte, diese schwierige Etappe gemeistert zu haben. Alle waren in einem kläglichen Zustand, doch dieses Flugzeug erwischt zu haben, erfüllte sie offenbar mit einer gewaltigen Erleichterung. Gus’ Gesicht erschien auf einmal ganz groß auf der Oberfläche der Singenden Quelle. Oksa hatte sich noch nicht wirklich an sein neues Aussehen gewöhnt. Die Haare reichten ihm bis zu den Schultern und seine vorstehenden Wangenknochen verliehen ihm zusätzlich etwas … Geheimnisvolles? Der Junge blickte forschend zum Himmel hinauf, als suche er dort etwas. Ob er spürte, dass Dragomira ihn beobachtete?
    »Oh, Gus …«, seufzte Oksa gequält.
    Es war hart, all das mitanzusehen, aber natürlich war es auch ein Trost zu wissen, dass es ihnen allen einigermaßen gut ging und sie sich aus dem Chaos hatten retten können. Vorausgesetzt, sie hielten weiterhin durch.
    Neue Szenen tauchten im Filmauge auf. Oksa konnte unschwer das Haus der Pollocks am Bigtoe Square erkennen, auch wenn es einige Schäden davongetragen hatte. Die Abgewiesenen hatten es also tatsächlich zurück nach London geschafft. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, wie sie sich dabei gefühlt haben mussten. Unter solchen Umständen zurückzukehren, musste grausam sein. Die Welt ging zugrunde, und sie konnten nichts weiter tun als hoffen und warten.
    Alle halfen mit, das Haus zu säubern, zu reparieren und wieder bewohnbar zu machen. Das Wasser war fast bis zum ersten Stock vorgedrungen, und nun war die gesamte untere Etage mit einer klebrigen Schlammschicht überzogen. Gus und Andrew kümmerten sich um das Dach, auf dem zahlreiche Ziegel fehlten. Doch das Schlimmste waren nicht die Verwüstungen, die die Naturkatastrophe angerichtet hatte, sondern die Plünderungen, denen das Haus zum Opfer gefallen war. Das konnte Oksa den niedergeschlagenen Worten ihrer Mutter entnehmen: Was nicht von den Elementen zerstört worden war, hatten Plünderer gestohlen.
    »Als ob es nicht so schon schlimm genug wäre«, sagte Marie seufzend und ließ den Blick über das Bild der Verwüstung schweifen.
    »Wir sind alle zusammen heil hier angekommen, das ist das Wichtigste«, erwiderte Virginia und drückte sie an sich.
    Das Filmauge verdunkelte sich und zeigte dann noch ein letztes Bild, das Oksa zutiefst erschütterte: Gus war in ihrem ehemaligen Zimmer. Er hatte sich der Länge nach auf ihrem Bett ausgestreckt. Sein Gesicht war ganz verzerrt, offenbar litt er unter heftigen Kopfschmerzen.
    »Es tut so weh«, murmelte er. »Ich halte es nicht mehr aus.«
    Augenblicke später erhob er sich. Er stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett unter der hochgeschobenen Scheibe und blickte gedankenversunken auf den verwüsteten Platz hinunter, während er seine Schulkrawatte zwischen den Fingern knetete. Ob er an Oksa dachte, so wie sie an ihn, als sie ihre eigene Krawatte im Rucksack gefunden hatte? Sie zweifelte keinen Augenblick daran. Doch als sie sah, wie Kukka ins Zimmer kam und zu Gus trat, setzte ihr Herz vor Schreck aus.
    »Sie hat kein Recht, mein Zimmer zu betreten«, murmelte Oksa.
    Gus warf einen ausdruckslosen Blick auf die »Eiskönigin«, doch das hinderte Kukka
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