Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
Verlag
    Über dieses Buch
    Bereits mit dem Vorabdruck dieses Romans in der › Süddeutschen Zeitung ‹
    wurde eine überaus intensive und ungewöhnlich weitreichende Diskussion
    ausgelöst. Bölls › Ansichten eines Clowns ‹ standen über Monate hinaus im
    Brennpunkt des Gesprächs, und nicht allein bei der literarischen Kritik. Das
    Mißverständnis vom angeblichen »Anti-Katholizismus« des Autors trug nicht
    wenig zu dieser starken Resonanz bei. Jedoch hat Böll nur einen Außenseiter
    dargestellt, der mehr als andere unter den bornierten Phrasen, der
    Unbarmherzigkeit und bequemen Moral unserer Wohlstandsgesellschaft leidet.
    Hans Schnier, Sohn aus reichem Hause, will lieber ein ehrlicher Clown als ein
    Heuchler sein. Sechs Jahre lang hat er mit Marie in einer nicht legalisierten Ehe gelebt. Marie verläßt ihn, weil er sich nicht verpflichten will, die aus dieser freien Ehe zu erwartenden Kinder katholisch erziehen zu lassen. Schnier ist
    diesem Verlust nicht gewachsen. Einst ein durchaus gefragter Pantomime und
    Spaßmacher, sitzt er am Ende zum Bettler degradiert mitten im
    Karnevalstreiben auf den Stufen des Bonner Bahnhofs, wo Marie, die
    inzwischen einen einflußreichen »fortschrittlichen« Katholiken geheiratet hat, von der Hochzeitsreise zurückkehren wird. »Böll hat sich diesmal von einer
    heilsamen Bitterkeit leiten lassen, und sie hat ihn weitergebracht als der
    begreifliche Wunsch nach Einebnung und Begütigung es hätte tun können.
    Der Clown Hans Schnier scheitert, aber der Anblick seines Scheiterns leistet
    mehr als ein Sieg, denn er trifft uns wie eine persönliche Schuld. « (Günter
    Blöcker)
    Ungekürzte Ausgabe
    Januar 1967
    Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,
    München
    © 1963 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln • Berlin
    Umschlaggestaltung: Celestino Piatti
    Gesamtherstellung: C. H. Beck'sche Buchdruckerei,
    Nördlingen
    Printed in Germany
    Für Annemarie
    Die werden es sehen, denen von Ihm noch
    nichts verkündet ward, und die verstehen,
    die noch nichts vernommen haben.
    Es war schon dunkel, als ich in Bonn ankam, ich zwang mich, meine Ankunft nicht mit der Automatik ablaufen zu lassen, die sich in fünfjährigem Unterwegssein
    herausgebildet hat: Bahnsteigtreppe runter, Bahnsteigtreppe rauf, Reisetasche
    abstellen, Fahrkarte aus der Manteltasche nehmen, Reisetasche aufnehmen,
    Fahrkarte abgeben, zum Zeitungsstand, Abendzeitungen kaufen, nach draußen gehen und ein Taxi heranwinken. Fünf Jahre lang bin ich fast jeden Tag irgendwo
    abgefahren und irgendwo angekommen, ich ging morgens Bahnhofstreppen rauf
    und runter und nachmittags Bahnhofstreppen runter und rauf, winkte Taxis heran, suchte in meinen Rocktaschen nach Geld, den Fahrer zu bezahlen, kaufte
    Abendzeitungen an Kiosken und genoß in einer Ecke meines Bewußtseins die exakt einstudierte Lässigkeit dieser Automatik. Seitdem Marie mich verlassen hat, um Züpfner, diesen Katholiken, zu heiraten, ist der Ablauf noch mechanischer geworden, ohne an Lässigkeit zu verlieren. Für die Entfernung vom Bahnhof zum Hotel, vom Hotel zum Bahnhof gibt es ein Maß: den Taxameter. Zwei Mark, drei Mark, vier
    Mark fünfzig vom Bahnhof entfernt. Seitdem Marie weg ist, bin ich manchmal aus dem Rhythmus geraten, habe Hotel und Bahnhof miteinander verwechselt, nervös
    an der Portierloge nach meiner Fahrkarte gesucht oder den Beamten an der Sperre nach meiner Zimmernummer gefragt, irgendetwas, das Schicksal heißen mag, ließ mir wohl meinen Beruf und meine Situation in Erinnerung bringen. Ich bin ein Clown, offizielle Berufsbezeichnung: Komiker, keiner Kirche steuerpflichtig,
    siebenundzwanzig Jahre alt, und eine meiner Nummern heißt: Ankunft und
    Abfahrt, eine (fast zu) lange Pantomime, bei der der Zuschauer bis zuletzt Ankunft und Abfahrt verwechselt; da ich diese Nummer meistens im Zug noch einmal
    durchgehe (sie besteht aus mehr als sechshundert Abläufen, deren Choreo-

7
    graphie ich natürlich im Kopf haben muß), liegt es nahe, daß ich hin und wieder meiner eigenen Phantasie erliege: in ein Hotel stürze, nach der Abfahrtstafel
    ausschaue, diese auch entdecke, eine Treppe hinauf- oder hinunterrenne, um meinen Zug nicht zu versäumen, während ich doch nur auf mein Zimmer zu gehen und mich auf die Vorstellung vorzubereiten brauche. Zum Glück kennt man mich in den
    meisten Hotels; innerhalb von fünf Jahren ergibt sich ein Rhythmus mit weniger Variationsmöglichkeiten, als man gemeinhin annehmen mag - und außerdem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher