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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort
Autoren: Linwood Barclay
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ich saßen oben, unweit der Tür, damit wir uns so schnell wie möglich aus dem Staub machen konnten, sobald der Professor mit seinem Geschwafel fertig war.
    »Kaputt?«, flüsterte ich zurück. »Was meinst du damit?«
    »Erinnerst du dich an die Geschichte mit diesem Mädchen und ihrer Familie, die auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist? Schon ein paar Jahre her, stand damals aber in allen Zeitungen.«
    »Nö.« Nachrichten hatten mich zu jener Zeit überhaupt nicht interessiert. Wie so mancher andere Teenager war ich ziemlich mit mir selbst beschäftigt gewesen – ich hatte vor, der nächste Philip Roth, Robertson Davies oder John Irving zu werden, war mir aber noch nicht ganz schlüssig, wer nun genau – und immun gegen Zeitereignisse jeglicher Art, außer wenn die Studentenauf dem Campus mal wieder gegen irgendetwas protestierten; dabei konnte man nämlich am besten Mädchen kennenlernen.
    »Na ja, jedenfalls sind ihre Eltern damals verschwunden, von einem Tag auf den anderen, zusammen mit ihrer Schwester oder ihrem Bruder, so genau weiß ich’s nicht mehr.«
    Ich beugte mich näher zu ihm und flüsterte: »Wie? Wurden sie ermordet?«
    »Keine Ahnung.« Er nickte in Cynthias Richtung. »Vielleicht weiß sie es. Vielleicht hat sie die ganze Bande abserviert. Hast du noch nie daran gedacht, deine Familie zu töten?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Das hatte wohl jeder irgendwann schon mal getan.
    »Wenn du mich fragst, ist die verklemmt«, sagte Roger. »Die guckt einen mit dem Arsch nicht an. Sitzt den ganzen Tag allein in der Bibliothek und ackert. Geht nicht aus und gehört auch zu keiner Clique. Trotzdem, ein echter Augenschmaus.«
    Das konnte man wohl sagen.
    Es war die einzige Vorlesung, die ich mit ihr zusammen hatte. Ich studierte auf Lehramt, falls es mit der Karriere als Bestsellerautor doch nicht klappen sollte. Meine Eltern – mittlerweile pensioniert und im sonnigen Florida ansässig – waren selbst beide Lehrer gewesen. Und immerhin war es ein krisensicherer Job.
    Ich hörte mich um und fand heraus, das Cynthia Sozialpädagogik studierte. Ihre Seminare umfassten Geschlechterstudien, Eheprobleme, Altenfürsorge, Familienökonomie und ähnlich interessante Dinge.
    Ich saß vor der Universitätsbuchhandlung und überflog meine Vorlesungsnotizen, als plötzlich jemand vor mir stand.
    »Wieso fragst du die Leute über mich aus?«, sagte Cynthia. Es war das erste Mal, dass ich ihre Stimme hörte. Sie sprach in leisem, aber nachdrücklichem Tonfall.
    »Hmm?«, machte ich.
    »Jemand hat mir erzählt, dass du dich nach mir umhörst«, wiederholte sie. »Du heißt Terrence Archer, stimmt’s?«
    Ich nickte.
    »Also, warum fragst du alle Leute nach mir?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht genau.«
    »Worum geht’s dir eigentlich? Wenn du irgendwas wissen willst, dann frag mich doch selbst, okay? Ich mag es nämlich nicht, wenn man hinter meinem Rücken über mich redet.«
    »Es tut mir leid. Ich …«
    »Glaubst du, ich kriege es nicht mit, wenn über mich geredet wird?«
    »Du meine Güte, leidest du unter Verfolgungswahn, oder was? Ich habe nicht über dich geredet . Ich habe mich nur gefragt, ob …«
    »Du hast dich gefragt, ob ich das Mädchen bin, dessen Familie verschwunden ist. Okay, ich bin’s. Und jetzt kümmere dich verdammt noch mal um deinen eigenen Kram.«
    »Meine Mutter hat auch rote Haare«, unterbrach ich sie. »Nicht so rot wie deine, eher rotblond. Aber du siehst einfach toll aus. Zugegeben, ich habe mich einbisschen umgehört, weil ich wissen wollte, ob du einen Freund hast. Soweit ich gehört habe, hast du keinen, und jetzt ist mir auch klar, warum.«
    Sie sah mich nur an.
    »Tja«, sagte ich und verstaute umständlich meine Sachen, ehe ich aufstand und mir den Rucksack über die Schulter warf. »Wie gesagt, es tut mir leid.«
    »Nein«, sagte Cynthia.
    Ich blieb stehen. »Nein was?«
    »Ich habe keinen Freund.« Sie schluckte. »Und das ist allein meine Sache.«
    Ich spürte, wie ich rot wurde. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten«, sagte ich. »Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du so überreagieren würdest.«
    Wir kamen überein, dass sie überreagiert und ich mich wie ein Arschloch verhalten hatte, und irgendwie landeten wir schließlich in einem der Uni-Cafés, wo mir Cynthia erzählte, dass sie bei ihrer Tante – der Schwester ihrer Mutter – wohnte.
    »Tess ist sehr nett«, sagte Cynthia. »Sie war nie verheiratet und hat auch keine eigenen
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