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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort
Autoren: Linwood Barclay
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die Scheiben getönt waren. Wie soll ich da etwas erkennen?«
    »Hat er angehalten? Oder irgendetwas zu dir gesagt?«
    »Nein.«
    »Hast du dir das Kennzeichen gemerkt?«
    »Nein. Beim ersten Mal habe ich nicht dran gedacht. Und beim zweiten Mal war ich zu nervös.«
    »Cyn, wahrscheinlich ist es bloß jemand, der um die Ecke wohnt. Die Leute müssen hier langsamer fahren, unser Viertel ist schließlich eine verkehrsberuhigte Zone. Erinnerst du dich noch an die Radarfalle? Damit wollte die Polizei Raser abschrecken.«
    Cynthia wandte den Blick ab und verschränkte die Arme. »Was weißt du denn schon? Wann bist du hier in der Gegend schon mal zu Fuß unterwegs? So wie ich jeden Tag.«
    »Eins weiß ich auf alle Fälle«, sagte ich. »Dass du Grace mit deinem Verhalten keinen Gefallen tust. Sie muss lernen, Risiken selbst einzuschätzen.«
    »Ach ja? Du glaubst also, eine Achtjährige kann sich schon allein zur Wehr setzen, wenn irgendein Kerl versucht, sie in seinen Wagen zu zerren?«
    »Was hat ein brauner Wagen mit Kerlen zu tun, die kleine Kinder ins Auto zerren?«
    »Du nimmst diese Dinge einfach nicht so ernst wie ich.« Sie hielt eine Sekunde inne. »Wie kann ein Vater nur derart sorglos sein?«
    Ich blies die Wangen auf und stieß Luft aus. »Okay, hör zu, so kommen wir nicht weiter«, sagte ich. »Außerdem muss ich mich beeilen.«
    »Na gut«, sagte Cynthia, ohne mir dabei in die Augen zu sehen. »Ich glaube, ich rufe noch mal an.«
    »Bei wem?«
    »Bei Deadline .«
    »Cyn, die Sendung ist vor drei Wochen gelaufen. Hätte jemand etwas gewusst, hätte er oder sie längst Kontakt aufgenommen. Sie informieren dich sowieso, falls sich irgendwas tut. Außerdem würden sie dann eine Folgesendung machen.«
    »Ich rufe trotzdem an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie wieder genervt reagieren – schließlich habe ich mich schon länger nicht mehr gemeldet. Vielleicht hat sich ja doch etwas ergeben und sie haben es fürnebensächlich oder so eine Wichtigtuer-Nummer gehalten. Im Grunde hatten wir ein Riesenglück, dass sich überhaupt irgendein Redakteur daran erinnert hat, was damals passiert ist.«
    Sanft drehte ich sie zu mir und hob ihr Kinn an, sodass sie mir in die Augen sah. »Okay, dann ruf eben da an«, sagte ich. »Und vergiss nicht, dass ich dich liebe.«
    »Ich dich auch«, sagte sie. »Ich … Ich weiß, dass das Zusammenleben mit mir manchmal nicht einfach ist, gerade für Grace. Mir ist bewusst, dass ich meine eigenen Ängste auf sie übertrage. Aber durch die Sendung ist mir alles wieder so deutlich in Erinnerung gerufen worden.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Aber versuch dich mehr auf die Gegenwart zu konzentrieren, Schatz. Du solltest dich nicht so sehr auf die Vergangenheit fixieren.«
    Ich spürte, wie sich ihre Schultern anspannten. »Fixieren?«, sagte sie. »Was willst du mir jetzt wieder einreden?«
    Es war definitiv die falsche Wortwahl gewesen. Als Englischlehrer sollte einem in solchen Situationen weiß Gott etwas Angemesseneres einfallen.
    »Hör auf, mich so gönnerhaft zu behandeln«, sagte Cynthia. »Du glaubst, du weißt alles, aber das stimmt nicht. Man kann nie wissen.«
    Es gab nicht viel, was ich darauf hätte antworten können. Sie hatte recht. Ich beugte mich zu ihr und gab ihr einen Kuss. Dann fuhr ich zur Arbeit.

DREI
    »Ich verstehe, dass dir die Vorstellung nicht behagt, ganz ehrlich. Ich verstehe, warum dir die Sache ein wenig Bauchschmerzen bereitet, aber ich weiß, wovon ich rede. Ich habe lange über das Ganze nachgedacht und es gibt keinen anderen Weg. So ist das eben mit Familien. Man muss tun, was notwendig ist, auch wenn es einem nicht leichtfällt, selbst wenn es wehtut. Natürlich geht es einem nicht leicht von der Hand, eine Familie auszulöschen, aber man muss die Sache im größeren Rahmen betrachten. Wahrscheinlich bist du nicht alt genug, um dich daran zu erinnern, aber früher sagte man, dass man ein Dorf zerstören muss, um es zu retten. Und so ähnlich liegen die Dinge auch hier. Stell dir unsere Familie als ein Dorf vor. Wir tun alles, um sie zu retten.«

VIER
    Als mein Freund Roger mich damals an der Uni auf sie aufmerksam machte, flüsterte er: »Archer, die Kleine ist erste Sahne. Ein heißes Gerät, sieh dir nur die Haare an. Rot wie ein Feuermelder. Aber pass bloß auf … die ist total kaputt.«
    Cynthia Bigge saß unterhalb von uns in der zweiten Reihe des Vorlesungssaals und machte sich Notizen über die Literatur des Holocaust; Roger und
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