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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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Strand in diesem wundersam wütenden Sturm, und meine Schwester treibt mit wedelnden Armen im dunklen, finsteren Wasser, und ich kann nur das Weiß ihres groben, einfachen Kleides sehen, wie es steigt und sinkt, und dann ist sie verschwunden, und ich werde sie nie wiedersehen, und jetzt bin ich im Fluss und versuche, seinem wilden Steigen und Sinken zu entkommen und zu ihr zu gelangen, um sie zu retten und ihr zu sagen, dass es mir Leid tut, dass sie meinetwegen ins Wasser gefallen ist. Ich lasse den umgestürzten Kübel liegen und die Krebse verteilen sich über das ganze Gelände, suchen unter dem immer weiter steigenden Wasser nach ihren Höhlen. Die Wellen, die Wellen, grausam und unerbittlich, und sie haben meine Schwester mit sich genommen. Und aus irgendeinem Grund ist sie weder traurig noch wütend; sie ist einfach ganz ruhig und wiederholt immer wieder dasselbe, du hast wirklich Glück, Junge, du hast wirklich Glück. Glück, seit du auf die Welt gekommen bist. Nichts wird dir je etwas anhaben können. Beruhige dich, sag Vater und Mutter, dass wir nicht ein einziges Wort dessen verstehen können, was du sagst. Ich wiederhole ihren Namen ein ums andere Mal: Boma, Boma. Sie ist fort. Die Wellen haben sie genommen. Das ganze Dorf kommt mit Laternen herbei, und als der Sturm sich legt, fahren die Männer mit Booten hinaus. Auf einer Felsnase mitten im Meer, im inzwischen ruhigen und zurückhaltenden Meer, das keiner Fliege etwas zuleide tun würde, finden wir sie am nächsten Tag. Auf diesem Flecken trockenen Lands mitten im Meer ist sie gestrandet, und sie schläft oder ist bewusstlos, und die Männer laden sie ins Boot und bringen sie nach Hause, und eine ganze Woche lang spuckt sie Meerwasser und schläft.
    ***
    Ich erwachte, und noch im Halbschlaf sah ich Zaq über mir aufragen. Er sah ausgeruht aus: Die Augen waren klar, und er hatte ein Lächeln auf den Lippen.
    »Du hast schlecht geträumt.«
    »Brechen wir auf? Wo sind der alte Mann und der Junge?«
    »Die sind fischen oder Krebse fangen oder was immer sie in dieser Gegend treiben.«
    Er setzte sich auf Chief Ibirams Stuhl und fummelte an den Radioknöpfen herum, sah dann zu mir herüber und lächelte.
    »Hättest du je gedacht, mal an so einem Ort zu landen, als du Reporter geworden bist?«
    Heiterkeit lag in seiner Stimme, und sein Lächeln leuchtete, und er sah beinahe glücklich aus. Plötzlich fiel mir unsere erste Begegnung vor fast fünf Jahren wieder ein, als er an die Ikeja School of Journalism in Lagos gekommen war, um die jährliche Abschlussvorlesung zu halten. Weil ich in meiner Klasse als Bester abgeschlossen hatte, war ich zusammen mit zwei anderen ausgewählt worden, hinterher mit Zaq essen zu gehen. Die beiden anderen, das waren Linda, das hübscheste Mädchen in meinem Jahrgang, und Tolu, das gescheiteste. Tolu war wie ich ein großer Fan des namhaften Journalisten, und ich war davon überzeugt, dass sie irgendwo in ihrer Tasche ein Aufnahmegerät und ein kleines Notizbuch mit einer langen Liste der Fragen hatte, die sie ihm stellen wollte: Fragen über das Leben nach der Journalistenschule, darüber, was einen in der Nachrichtenredaktion erwartete, welches die besten Zeitungen waren, bei denen man sich bewerben sollte und zu guter Letzt noch, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie ihn als Referenz angab oder er vielleicht sogar bereit wäre, ihr ein Empfehlungsschreiben an einen der Chefredakteure zu schreiben … Tolu war nicht nur die gescheiteste Studentin in meiner Klasse, sondern gleichzeitig die aggressivste, die nervigste und die hässlichste, mit krankhaft gelblichen Augen, die einen ohne zu zwinkern auf unangenehme Art anstarrten.
    Wir saßen im Hinterzimmer eines chinesischen Restaurants in Ikeja; die Mädchen saßen rechts und links von Zaq. Linda kicherte, während sie Rotwein in sein Glas nachgoss und dabei versuchte, ihm ihren bemerkenswerten Vorbau ins Gesicht zu drücken. Ich saß auf der anderen Seite des Tisches, und links von mir saßen zwei unserer Lehrer: Ms. Ronke und Mr. Malik. Ihre Hände fummelten, das konnte ich genau sehen, unterm Tisch im Schritt des anderen herum. Und der Abend war noch jung. Links von uns hing eine Kerze in einem roten Lampion über dem Mittelgang und tauchte unseren Tisch in eine düstere Glut. Alle versuchten wir verzweifelt, Zaq in ein Gespräch zu verwickeln, aber er schien im Augenblick mehr darauf aus, sich zu betrinken. Wir waren noch nicht einmal eine Stunde dort, und während wir
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