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Öl auf Wasser - Roman

Öl auf Wasser - Roman

Titel: Öl auf Wasser - Roman
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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uns herunter winkte und mit lauter, freundlicher Stimme rief:
    »Kommt rein, kommt rein.«
    Wir kletterten die schwankende Leiter hinauf, setzten vorsichtig jeden Fuß, immer darauf bedacht, nach allem in der Nähe zu greifen, um uns in Sicherheit zu bringen, sollten die Sprossen unter uns nachgeben. Ich stieg als erster hoch und zog Zaq nach. Er war schwer wie ein Sandsack.
    Das Wohnzimmer war überraschend geräumig, was aber eher am Fehlen von Möbeln und einem großen, offenen Fenster lag. Der Fußboden war mit alten Strohmatten bedeckt, auf die wir niedersanken als wären es die weichesten Daunenkissen. Der Dicke setzte sich auf den einzigen Stuhl im Raum, einen Lehnstuhl am Fenster, das hinaus auf die Veranda und den Fluss dahinter blickte.
    »Willkommen in unserem Dorf.«
    Der Alte stand zwischen uns und dem Mann auf dem Stuhl und stellte uns einander vor.
    »Mein Bruda, Chief Ibiram, sagt willkommen. Is der Chief von ganze Dorf. Is auch mein Bruda von selbe Mutta. Das meine Freunde, sind Journalisten. Sind gute Leute, deshalb ich bring her.«
    »Seid willkommen in unserem Dorf.«
    Es war offensichtlich, dass der Chief kein Mann vieler Worte war, aber er schien sich zu freuen, uns aufzunehmen. Ich sah von dem alten Mann zu seinem Bruder, versuchte, Ähnlichkeiten zu entdecken: Es gab keine. Unser Führer war grau, drahtig und kleinwüchsig, sein Bruder aber ein beeindruckendes Mannsbild: Über einen Meter achtzig groß, beherrschte er sogar noch im Sitzen den ganzen Raum und ließ alles andere kleiner erscheinen. Nun, da die Vorstellung vorüber war, setzte sich der Alte neben seinen Bruder. Auf einem Beistelltisch neben Chief Ibiram spielte leise ein Radio, das auf einen Sender eingestellt war, dessen Sprache ich nicht ausmachen konnte.
    Eine Tür ging auf und ein Mädchen brachte eine Lampe herein, die sie in der Zimmermitte auf den Fußboden stellte; draußen war es inzwischen völlig dunkel. Sie war vielleicht zehn Jahre alt, und als sie sich bückte, um die Lampe abzusetzen, blickte sie verstohlen zu uns herüber, und in dem flüchtigen, zitternden Licht sah ich, wie erstaunlich fein geschnitten ihre Züge waren, sah ihre glatte, ebenholzfarbene Haut, das Weiß in ihren Augen, die langen, schwarzen Wimpern – und dann war sie wieder verschwunden. Sie kam später noch einmal und brachte ein Tablett voll mit Essen: gekochte
Kassava
und Fisch mit Palmöl und gemahlenem Pfeffer. Der Chief stieg von seinem Stuhl herab, und gemeinsam aßen wir auf dem Fußboden. Ich war überzeugt, dass es das beste Essen war, das ich je bekommen hatte: Ich starrte auf die Tür, durch die das Mädchen gekommen und gegangen war, und hoffte, dass sie wiederkäme und mehr Essen brächte.
    Zaq aß nicht. Er saß abseits, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und ich konnte im Lampenlicht den Schweiß erkennen, der ihm auf der Stirn stand. Aber er klagte nicht. Er saß da, still und mit Whisky abgefüllt, den Rücken an die dünne Strohwand gelehnt, und bald darauf schnarchte er. Später gesellte sich der Alte zum Chief und setzte sich aufmerksam lauschend neben das Radio. Sie hörten die ganze Nacht Radio. Manchmal wachte ich plötzlich auf und sah sie immer noch in derselben Haltung da sitzen und zuhören, als ob die Nachrichten, die da aus dem winzigen Weltempfänger drangen, über Leben und Tod entschieden. Sie unterhielten sich – vielleicht kommentierten sie das, was aus dem Radio kam – in einer Mischung aus Pidgin-Englisch und ihrer Muttersprache. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber ich stellte mir vor, dass sie über die schwindenden Fischvorkommen im Fluss sprachen, über die steigende Vergiftung des Wassers und darüber, wie bald sie an einen Ort umsiedeln müssten, an dem das Fischen noch einigermaßen möglich war. Ich hörte zu, schlief ein und wachte wieder auf und schlief wieder ein und träumte von dem kleinen Mädchen mit der matt glänzenden Haut.
    ***
    Es ist dunkel. Wir sind am Strand und fangen Krebse, die wir am Morgen an die Marktfrauen verkaufen wollen. Das haben wir jede Nacht gemacht, sie und ich, aber heute geht die See schwer, spuckt und schäumt, und der Himmel über unseren Köpfen öffnet sich, als wollte er seine Anteilnahme beweisen. Wir rennen los. Boma ist fünf Jahre älter als ich und deshalb schneller und sicherer auf den Beinen, und jetzt rutsche ich aus und, um mich zu retten, springt sie in die Wellen und stößt mich auf den Strand und in Sicherheit. Ich bin ganz allein am
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