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Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Öffne die Augen: Thriller (German Edition)

Titel: Öffne die Augen: Thriller (German Edition)
Autoren: Franck Thilliez
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möchtest unbedingt deinen Chef anrufen, nicht wahr?«
    » Das sollte ich tun, ja.«
    Sie ergriff seine Handgelenke.
    » Das Einzige, was ich möchte, ist, Alice gegenüberzutreten. Ich muss mit ihr sprechen, ihr Gesicht sehen, um es dann aus meiner Erinnerung vertreiben zu können. Ich kann sie jetzt nicht mehr als das arme Kind sehen. Sie ist eine grausame Mörderin.«
    Sharko erinnerte sich an seinen Blickkontakt mit Atef Abd el-Aaal, das morbide Gefühl von Freude, das er empfunden hatte, als er das Zündrad des Feuerzeugs gedreht hatte. Er trat zu Lucie und raunte ihr zu:
    » Die Sache dauert schon über ein halbes Jahrhundert, jetzt kommt es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an. Ich telefoniere vor dem Abflug mit ihm. Ich will auch dabei sein und nichts verpassen, was glaubst du denn?«

Kapitel 60
    Sie nahmen abends den letzten Flug nach Paris. Da die Maschine nicht ausgebucht war, konnten sie nebeneinandersitzen. Lucie presste die Stirn an die Scheibe und sah, wie sich Montreal langsam in ein großes Lichtermeer verwandelte, das dann nach und nach von der Finsternis verschluckt wurde. Eine Stadt, von der sie nur die dunkle Seite kennengelernt hatte. Dann folgte der unendliche schwarze Ozean.
    Zu ihrer Linken hatte Sharko seine Schlafbrille aufgesetzt und sich in seinem Sessel ausgestreckt. Sein Kopf sank zur Seite, und schließlich schlief er ein.
    Sie hätten die achtstündige Reise nutzen können, um sich ihr Leben, ihre Vergangenheit zu erzählen, sich besser kennenzulernen, doch sie wussten beide, dass sie sich ohne Worte am besten verstanden.
    Lucie betrachtete voller Zärtlichkeit das kantige Gesicht, das von so viel Durchlebtem zeugte. Mit dem Handrücken strich sie sanft über die Bartstoppeln und dachte daran, dass ihre Beziehung aus ihrem geteilten Leid entstanden war. Sie versuchte, sich selbst in ihrem Innersten davon zu überzeugen, dass es Hoffnung gab, dass auch verbrannte Erde irgendwann wieder fruchtbar wurde. Dieser Mann hatte sicherlich das Schlimmste durchgemacht, Tag für Tag versucht, sein Leben voranzutreiben, das durch jedes erneute Eintauchen in die Welt des Bösen ein wenig mehr zerstört wurde. Aber Lucie wollte es versuchen– versuchen, ihm ein Zehntel, ein Hundertstel von dem zurückzugeben, was er verloren hatte. Sie wollte für ihn da sein, wenn es ihm nicht gutging, und auch, wenn es ihm gutging. Sie wollte, dass er die Zwillinge an sich drückte, und wenn er das Gesicht in ihrem Haar verbarg, vielleicht an sein eigenes Kind dachte. Sie wollte ganz einfach mit ihm zusammen sein.
    Sie zog die Hand zurück und beugte sich zu ihm, um ihm all das zuzuflüstern, denn sie wusste ja nun, dass es– selbst wenn er schlief– ein Areal in seinem Gehirn gab, das sie hörte und ihre Worte irgendwo in seinem Geist registrierte. Doch sie brachte keine Silbe heraus.
    Also begnügte sie sich damit, ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen.
    Vielleicht war das der Anfang ihrer Liebe.

Kapitel 61
    Nach der Landung in Orly ging alles sehr schnell. Sobald Martin Leclerc informiert war, hatte er die Kripo Grenoble auf die Sache angesetzt. Ohne in Nanterre vorbeizuschauen, holte Sharko auf dem Flughafenparkplatz sein Auto und fuhr mit Lucie Richtung Süden.
    Die Zielgerade… die letzte euphorisierende und zerstörerische Kokslinie… bald wäre es so weit. Um sechs Uhr früh würde die Kripo von Grenoble in das Haus von Coline Quinat, zweiundsechzig Jahre, eindringen.
    Sharko und Lucie würden den Trupp anführen.
    Im Moment sauste die Landschaft an ihnen vorbei. Auf die Felder folgten Täler, die Berge wurden höher, der Boden trockener. Lucie schlief immer wieder kurz ein und schreckte jedes Mal hoch. Ihre Kleider waren zerknittert, das Haar struppig, und sie war ungewaschen. Aber das machte nichts. Sie mussten bis zum Ende gehen, ohne anzuhalten, Atem zu holen oder nachzudenken. Sie mussten den Abszess so schnell wie möglich aufschneiden, die Sache abschließen.
    Grenoble– diese Stadt barg für den Hauptkommissar unangenehme Erinnerungen an das Grauen, das ihn vor einigen Jahren in einen Abgrund gestürzt hatte. Damals war Eugénie dabei gewesen, sie hatte auf dem Rücksitz zusammengerollt geschlafen. Sharko wagte nicht zu glauben, dass nun alles besser werden würde, dass das kleine Phantom seit der Nacht mit Lucie definitiv aus seinem Kopf verschwunden wäre. Würde es ihm endlich gelingen, die Tür zu schließen, die so lange den Blick auf die Gesichter von Suzanne und Eloise gewährt
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