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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft
Autoren: Bernard Glemser
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KAPITEL I

    Ich muß doch wohl ein ausgemachter Dummkopf sein, wie schon mein ehemaliger Freund N. B. festgestellt hat. Wie gesagt, nachdem ich endlich mit Packen fertig geworden war, stellte ich fest, daß ich noch eine Menge Zeit übrig hatte, und ich ging hinunter in McDougals Drugstore an der Ecke und rief Mutter an, um ihr auf Wiedersehen zu sagen. Warum eigentlich, was sollte das?
    Mutter wohnt in einem alten Haus in Greenwich, mitten in einem großen Garten voller Bäume und Moos, durch den ein kleiner Bach fließt. Sehr romantisch.
    Ich sagte: »Also, auf Wiedersehen, Mutter. Ich reise gleich ab.«
    »Du reist ab?« sagte sie mit ihrer öligen, schläfrigen Stimme. »Jetzt schon? Oh, mein armes Kind. Versprich mir, daß du auf dich achtgibst.«
    »Ja, Mutter.«
    »Versprich mir, daß du nichts Gefährliches tust.«
    »Ja, Mutter.«
    Wie dämlich eine Frau sein kann! »Ja, Mutter.«
    Und dann mit einem süßen Lachen: »Übrigens, Liebes, ich hab’ der Bank gesagt, daß sie dir dein monatliches Taschengeld nicht mehr zu schicken brauchen, weil du ja wieder eine Stellung hast. Das ist dir doch recht?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    Da gingen sie mal wieder hin wie der Wind, die zweihundertfünfzig Dollar monatlich, die pünktlich an jedem Ersten eingetrudelt waren, genau wie damals, als ich in Macys Spielwarengeschäft gearbeitet hatte oder bei Lever Brothers oder in der Gemäldegalerie in der Siebenundfünfzigsten Straße. Nicht, daß es mir viel ausgemacht hätte — ich finde Geld nicht so lebenswichtig —, aber schließlich geht es hier um eine grundsätzliche Frage. Mister Cooper, unser Anwalt, hat mir einmal alles erklärt. In Vaters Testament gibt es eine eindeutige Klausel, nach der Mutter verpflichtet ist, mir diese zweihundertfünfzig Monat für Monat zu zahlen, und wenn die Welt untergeht. Aber man kann mit Mutter nicht streiten. Sie ist ein hoffnungsloser Fall. Da ich nun schon mal den Hörer in der Hand hatte, könnte ich eigentlich auch noch Tom Ritchie in seiner Anzeigen-Agentur anrufen: Gesagt, getan, wie’s sich gehört für einen Dummkopf. Ein Segen, daß es das Wort gibt, es erklärt alles.
    Ritchie meldete sich mit seiner auf dem Quivive seienden Stimme, ich sah ihn geradezu vor mir, sich in Positur rückend hinter seinem Schreibtisch, lässig und doch gespannt, kühl und doch hitzig. Vielleicht erwartete er einen Anruf vom Vizepräsidenten der Thunfisch-Büchsen-Gesellschaft.
    »Hallo, Tom.«
    »Oh, du bist’s.«
    »Ja, ich bin’s.«
    »Schrecklich nett von dir, mich anzurufen.«
    »Ich fahr’ gleich ab, Tom. Ich wollte nur auf Wiedersehen sagen.«
    »Soll das heißen, du machst sie wahr, deine verrückte Idee?«
    »Ja.«
    »Du mußt deine fünf Sinne wohl nicht ganz beisammen haben, du dumme Hexe«, schimpfte er los. Ich hörte ihm eine halbe Minute zu, und dann hängte ich auf. Da wollte ich ihm nur freundlich auf Wiedersehen sagen wie unter alten Freunden, aber ihm lag nur daran, mir eins auszuwischen, mich kleinzukriegen. Nun ja, wenn der andere sich wie Hitler gebärdet, gibt’s keine Verständigung.
    Ich hätte ihn nicht anrufen sollen, ich hätte Mutter nicht anrufen sollen. Zum Teufel mit Tom Ritchie: er hat mir meine Unschuld genommen, und nun will er mir die Seele nehmen. Und zum Teufel mit Mutter, so wie sie nun einmal ist.
    Angel und Eena, meine Freundin, die mir beim Packen geholfen hatte, warteten inzwischen oben in meinem Zimmer. Eena ist so lang, wie sie breit ist, sogar mit Korsett, und sie hat eine Stimme, die mir jedesmal einen Schock versetzt—reiner kehliger Schaljapin. Sie hatte mir ein paar Bücherregale eingebaut, damals als ich in dieses Zimmer eingezogen war, und vielleicht hatte sie gehofft, irgend etwas Wunderbares werde daraus sprießen. Leider umsonst. Ich konnt’s nicht. So gern ich sie mag.
    »Hallo, Angel«, sagte ich.
    »Mensch«, sagte er. »Endstation?«
    »Tja«, sagte ich.
    Er war klein und mager und hatte einen Bart, der nicht wachsen wollte, er trug einen grünbraunen Anzug, acht Nummern zu groß für ihn, und, mein Gott, er sah schmuddelig aus. Armer, alter kleiner Angel. Er stammte aus Kuba oder so und war Lyriker, und hin und wieder durfte er seine Gedichte im >Nacht-Café< vorlesen. Er hatte eine ganz besondere Masche, sich dem Publikum verständlich zu machen; mit schwungvollen Gesten setzte er die Satzzeichen in die Luft; ich vergesse nie jenen Abend, an dem er ein Gedicht vorlas, das mir gewidmet war. Es hieß Das Mädchen mit den
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