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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel
Autoren: Janne Teller
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mein Fräulein«, sagte er und zog an seinem langen weißen Bart. »Aber wir sind wahrlich ein wenig vom Kurs abgekommen und haben uns verirrt. Wenn ich mir die Freiheit nehmen darf zu fragen, du kannst mir wohl nicht sagen, wo in aller Welt meine beiden Pferde und ich uns befinden?«
    Ida-Anna lachte, von plötzlichem Mut überwältigt.
    »Wissen Sie nicht, dass Sie in Smedieby sind, der wichtigsten Stadt östlich von Posthusby?« Erst jetzt bemerkte Ida-Anna, dass der Fremde nur ein Auge hatte. Wo das andere Auge einmal gewesen war oder wo es hätte sein sollen, schloss sich das Augenlid stramm über dem Hohlraum. Ida-Anna sah sich den Fremden genauer an. Er war alt, älter als jeder andere, den Ida-Anna je gesehen hatte, und vielleicht noch älter. Sein Haar war lang und weiß und sein Bart noch länger und noch weißer, und die Haut in seinem Gesicht war dunkel und voller Falten und Runzeln, als hätte er sich lange Zeit in der Sonne aufgehalten. Er trug einen langen Mantel aus etwas, das wie Schaffell aussah, und seine unförmigen Stiefel sahen aus, als hätten auch sie einmal einem Schaf gehört. Er war schon ein merkwürdiger Mann, und Ida-Annas Erklärungen schienen ihm nicht im Mindesten zu helfen. Der kleine alte Mann runzelte nur seine eh schon übermäßig stark gerunzelte Stirn und fragte:
    »Ob du mir mithilfe der Sterne wohl eine genauere Position
angeben könntest? Siehst du, mein Pferd hat sich ein Bein gebrochen, und ich befinde mich in einer höchst misslichen Lage.« Den letzten Satz fügte Odin hinzu, weil er das Gefühl hatte, das freundliche Mädchen um zu viel zu bitten, und er wollte weder aufdringlich noch unhöflich erscheinen.
    An diesem Punkt hätte die Konversation leicht fehlschlagen können, da Ida-Anna weder von den Sternen noch von ihren Positionen noch von Pferden mit gebrochenen Beinen eine Ahnung hatte. Doch glücklicherweise waren Lauge und Troels in der Zwischenzeit, so schnell sie konnten, in das Dorf gelaufen und hatten die Erwachsenen benachrichtigt, und jetzt näherten sich der Schmied und Onkel Eskild mit einer aus der ganzen Dorfbevölkerung Smediebys bestehenden Delegation – wenn man von der alten Rikke-Marie absah, die sich alt genug fühlte, um zu meinen, dass die Welt zu ihr kommen konnte, und nicht sie zu der Welt.
     
    Der Schmied war ein imposanter Mann, mindestens einen Kopf größer und viele Zentimeter breiter als jeder andere in Smedieby, und als er ein paar Meter vor Odin stehen blieb, blieben auch alle anderen Einwohner sofort stehen.
    »Hm, hm«, räusperte sich der Schmied und versuchte sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Mit demonstrativer Ruhe, die nichts mit seinen tatsächlichen Gefühlen zu tun hatte, nahm er seine stark qualmende Pfeife aus dem Mund und räusperte sich noch einmal. »Hm, hm. Ich will nicht unliebenswürdig sein, aber Ihr Pferd hat sich ein Bein gebrochen! «, erklärte er laut und deutete mit dem Mundstück seiner Pfeife auf Rigmarole. Dann sah er seine Mitbürger an, und als alle bekräftigend nickten, fuhr er fort: »Wie alle wissen, rühmen sich die Einwohner Smediebys – wenn ich das sagen darf –, ein sehr gastfreundliches Volk zu sein, und das nicht ohne Grund – wenn ich das sagen darf –, aber wer sind Sie?«
    »Ich heiße Odin«, sagte Odin und verneigte sich tief. Da das jedoch keinen großen Eindruck auf die Leute zu machen schien, fühlte er sich gezwungen, weitere Erklärungen abzugeben. »Ich bin weit gereist und habe noch einen weiten Weg vor mir. Aber
ich habe mich in einem Meteorsturm verirrt, Rigmarole hat sich das Bein gebrochen, und, ja, hier sind wir also.«
    Der Schmied, der sehr wohl wusste, dass es Dinge auf dieser Welt gab, von denen er nichts verstand, der diesen Unverstand jedoch nicht vor den anderen Einwohnern zugeben mochte, beachtete Odins Erwähnung des Meteorsturms nicht weiter, und später am Tag, als ein anderer das Thema aufgriff, bestand er darauf, dass Meteorsturm nur ein anderes Wort für einen sehr starken Schneesturm sei. Für den Moment entschloss er sich, sich auf das Pferd zu konzentrieren, denn niemand in Smedieby hatte mehr Ahnung von Pferden als der Schmied.
    »Ich will nicht unliebenswürdig sein, aber ein Pferd mit einem gebrochenen Bein ist genau besehen das Gleiche wie gar kein Pferd«, sagte er feierlich.
    »Ja«, nickte Odin. »Ich befinde mich wahrlich in einer höchst misslichen Lage. Sehen Sie, ich bin wahrlich nicht wenig in Eile. Und jetzt muss ich
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