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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel
Autoren: Janne Teller
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das er vorher noch nicht hatte sagen können und das er sehr gerne sagen wollte.
    »Ob du wohl, wenn das nicht zu viel verlangt ist, so freundlich bist und Mutter Marie und dem Schmied und Onkel Eskild und dem Bäcker und allen anderen Einwohnern von Smedieby sowie dem langen Laust und natürlich den anderen Einwohnern
von Posthusby, nicht zu vergessen, einen kleinen Bescheid überbringst? «
    Ida-Anna nickte atemlos.
    »Sieh mal, ich hatte wirklich die schönsten Geschenke vom Kontinent mitgebracht, die man sich nur vorstellen kann«, begann Odin entschuldigend. »Aber bevor wir Smedieby erreicht hatten, geriet die Luftverbindung in eine Turbulenz und wurde mehr als zu schwer, sodass wir die Geschenke über Bord werfen mussten. Deshalb kann ich allen nur meine größten und dankbarsten Wünsche senden und mich für die Geschenke entschuldigen, die auf dem Weg verloren gegangen sind.«
    Ida-Anna lachte laut und blinzelte Odin zu.
    »Ha«, lachte sie, denn sie wusste genau, dass der Weihnachtsmann nur Scherze machte, da er bereits die besten Geschenke gebracht hatte, die sich jemand in Smedieby und natürlich in Posthusby, nicht zu vergessen, vorstellen konnte: den Vetter Ambrosius für den Schmied und den lange erwarteten und dringend benötigten Veterinär Adelstensfostre für ihre Mutter und für die Einwohner von Smedieby und natürlich die Einwohner von Posthusby, nicht zu vergessen. Und was sie selbst anging – Ida-Anna winkte dem Weihnachtsmann plötzlich zum Abschied und flüsterte schnell: »Nie, nie, nie werde ich ein Wort zu jemandem sagen. Nie, nie, nie sonst lande ich in der Schlange Magen.« Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und lief zurück ins Dorf, denn sie hatte gerade ein junges und einsames Wiehern aus dem Stall ihrer Mutter gehört.
     
    Odin winkte Ida-Annas Rücken zum Abschied, nahm die Zügel in die Hände und schnalzte mit der Zunge. Rigmarole und Baltazar schossen vor, und ihre Beine bewegten sich so schnell, dass es aussah, als hätte jedes Pferd acht und nicht vier Beine. Im Laufe von wenigen Sekunden waren Pferde und Schlitten weit den Weg hinunter, dann hob die Equipage von der Erde ab und stieg höher und höher in den Himmel hinauf. Odin lenkte die Pferde nach Osten, und bald nahm er direkten Kurs auf den Nordstern. Obwohl er sich noch immer nicht daran erinnerte, was vor Smedieby und dem Meteorsturm gewesen war, hatte er
keine Zweifel, dass er eine weite Reise vor sich hatte. Er lehnte sich im Sitz zurück und machte es sich gemütlich, während er darüber nachdachte, was er vergessen hatte.
    Aber es dauerte nicht lange, bis Odins Gedanken gestört wurden. Er fuhr zusammen – etwas hatte sich zu seinen Füßen bewegt. Odin hob die Decke, und heraus krabbelte die alte Rikke-Marie, und als wäre es das Natürlichste von der Welt, setzte sie sich ruhig neben Odin.
    »Manchmal, wenn die Welt nicht zu dir kommt, musst du zu der Welt kommen«, sagte sie mit einem Lächeln, das ihr zahnloses Zahnfleisch enthüllte.
    Odin nahm die Hand der alten Dame und zog die Schaffelldecke fester um sie. Davon flogen sie, Hand in Hand zu den Sternen hinauf und legten Meile um Meile zurück, während am Himmel allmählich der Morgen graute und das Spiegeln der Sonne in Rigmaroles und Baltazars Fell den Weihnachtstag im Norden heller machte, als er jemals gewesen war.
    Und gerade als das Tageslicht sich näherte und den Himmelsweg vor den Pferden beleuchtete, sah Odin etwas am Horizont blinken. Nicht einen, sondern zwei. Keine Sterne, sondern etwas noch Strahlenderes. Der Schlitten näherte sich den zwei funkelnden Punkten mit großer Geschwindigkeit, und bald konnte Odin ahnen, was es war. Und plötzlich erinnerte er sich an alles.
    »Hugin, Munin, ihr Raben«, rief er. »Gleich grünt mein Geist, die Sinne klären sich. Gedanken, Erinnerung, seid hier willkommen! «

Die dänische Originalausgabe erschien 1999
unter dem Titel »Odins ø« bei Centrum, Kopenhagen.
     
    Die vorliegende Übersetzung wurde vom Danish Literary
Information Centre, Kopenhagen, gefördert
     
     
     
     
    1. Auflage
    Neuausgabe Juni 2011
    Copyright © 1999 by Janne Teller
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002/2011 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH München
     
     
     
    KR · Herstellung: LW
    eISBN 978-3-641-07490-6
     
    www.btb-verlag.de
    www.randomhouse.de
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